Früher oder später merken es so ziemlich alle: Der Mensch ist
nicht perfekt. Und das Leben endlich. Der Körper ist verletzlich, die Wissens- und
Erkenntnismöglichkeiten sind begrenzt, und recht schnell sagt
dann auch noch der Tod „Hallo!“. Bisher jedenfalls. Doch das
lässt sich ändern. Sagen Anhänger des Transhumanismus.
Unheilbare Krankheiten und Sterben – das war gestern!
Herztransplantationen, künstliche Hüftgelenke, eine
neurologisch gesteuerte Kunsthand oder stählerne
Unterschenkel für amputierte Weitspringer, die an den
Paralympics teilnehmen – alles kein Problem mehr. Hier werden
Faszination und Leistungsfähigkeit moderner Medizin und
Hochtechnologie erkennbar. Manche Prothesen haben bereits jetzt
mehr Potenzial als die natürlichen Gliedmaßen, die sie ersetzen.
Und die Entwicklung der technologiebasierten
Optimierungsarbeiten an Mensch, Gesellschaft und Umwelt
schreitet mit atemberaubender Geschwindigkeit weiter voran.
Allerdings manchen, allen voran den Transhumanisten, nicht
schnell und vor allem nicht weit genug, es geht ihnen längst um
wesentlich mehr. Nämlich darum, auch den gesunden „normalen“
Menschen mittels Technologie konsequent auf eine höhere
Entwicklungsstufe zu katapultieren. So ganz neu ist das
allerdings nicht. Forderte nicht schon Friedrich Nietzsche – am
explizitesten in seinem Werk „Also sprach Zarathustra“ (1883–85)
– die Weiterentwicklung des Menschen zu einem neuen Typus, der
mit deutlich höheren Fähigkeiten ausgestattet und den heutigen
Vertretern dieser Spezies haushoch überlegenen sein sollte? Er
nannte ihn „Übermensch“ und verlangte von ihm sowohl eine
geistige als auch eine biologische Überlegenheit.
Der „Transhumanismus“, als Begriff zusammengesetzt aus
den lateinischen Wörtern trans (=jenseits, darüber hinaus) und
humanus (=menschlich), setzt diesen Gedanken fort. Es ist eine
relativ junge, derzeit noch überwiegend in den USA und
Großbritannien zu findende Philosophie- und Denkrichtung, deren
Verfechter – über Nietzsches Ideen hinausgehend – darauf setzen,
die Grenzen menschlicher Möglichkeiten durch technologische
Verfahren fundamental zu erweitern, ja sogar die Grenzen
zwischen Mensch und Maschine aufzuheben. In der Literatur taucht
der Begriff wohl erstmals bei dem Biologen und Eugeniker Julian
Huxley auf, und zwar in seinem 1957 veröffentlichten Buch „New
Bottles for New Wine“. Die Interessen und Werte der Menschheit
werden dabei als Verpflichtung zum absoluten und logischen
Fortschritt im Rahmen der Evolution angesehen – zielführend
durch die Verschmelzung von Mensch und Technik eben zu so
genannten Transhumanen, oft auch als Cyborgs bezeichnet. Die, so
stellte es der transhumanistische Philosophen FM-2030
(bürgerlich: F.M. Esfandiary) in seinem 1989 veröffentlichten
Buch „Are You Transhuman?“ dar, bilden die erste Manifestation
einer neuen Art im Rahmen der Evolution und ähneln damit „den
ersten Hominiden, die vor vielen Millionen Jahren (in Afrika)
die Bäume verließen und begannen sich umzuschauen“.
Gottes Werk und der Technik Beitrag: Cyborgs sind – zwar
noch – eine kleine Randgruppe. Doch zunehmend mehr Menschen
lassen sich bereits entsprechend aufrüsten. Etwa dadurch, dass
sie sich Magnete in die Finger spritzen, mit denen sie
elektromagnetische Felder wahrnehmen können; Chips unter die
Haut pflanzen lassen, mit denen sie Türen öffnen können
(funktioniert bei Katzen und Katzenklappen schon länger prima)
oder sich Module in den Schädel implantieren lassen, die ihre
Sinneskapazitäten um ein Vielfaches erweitern. Etwa wie bei dem
Briten Neil Harbisson, der sich für den ersten echten Cyborg der
Welt hält. Er ist von Natur aus farbenblind und kann nun dank
einer an seinem Kopf angebrachten Antenne Farben hören. Und zwar
dadurch, dass ein Sensor die Farben in seinem Sichtfeld scannt,
die dann mittels des Chips an seinem Schädel in Töne umgewandelt
werden. Doch es kommt noch besser: Harbisson kann so nicht nur
alle Farben im sichtbaren Farbspektrum hören, sondern auch die
für „Normalos“ unsichtbaren, also etwa Ultraviolett und
Infrarot. Konsequenterweise hat er die „Stiftung Cyborg“
mitgegründet – eine internationale Organisation, die Menschen
hilft, Cyborgs, also Mischwesen aus lebendigem Organismus und
Maschine, zu werden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Neil_Harbisson
Der neue Traum vom ewigen Leben – ewigem Leben auf Erden,
versteht sich – scheint damit in greifbare Nähe zu rücken. Nicht
zuletzt aufgrund der Eugenik, also der Zucht bestimmter
Menschentypen mittels Genmanipulation. Und aufgrund der
Kryonik-Institute – etwa der Firmen Alcor (
www.alcor.org)
und Cryonics (
www.cryonics.org)
in den USA sowie KrioRus (
http://kriorus.ru/en)
in Russland, die heute schon Menschen bei –196° bis –273°C
einfrieren, um sie in fortgeschritteneren Zeiten zu neuem Leben
zu erwecken. Mit dem massiven Vertrauen in die Technik der
Zukunft fließt diesen transhumanistischen Protagonisten auch
viel Geld in die Kasse. Denn die Gruppe der Ewig-leben-Wollenden,
die zum Kundenkreis der Kryonik-Institute zählt, soll mehrere
Tausend Personen aus der ganzen Welt umfassen. Etwa 400 von
ihnen sollen ihren Körper bereits einer Kältebestattung
unterzogen haben. Sie harren nun in teils unterirdischen Tanks
mit flüssigem Stickstoff ihrer Wiedererweckung, und zwar zu
einer Zeit, in der ihre Krankheiten und Todesursachen behoben
werden und sie gesund weiterleben können. Zu hoffen ist, dass
sie nicht übel enttäuscht werden ob des dann möglicherweise
fatalen Zustandes unserer Erde. Immerhin gab schon Sokrates (469
– 399 v. Chr.) zu bedenken: „Niemand kennt den Tod, es weiß auch
keiner, ob er nicht das allergrößte Geschenk für den Menschen
ist.“
Klar, dass das Thema „Die Welt ohne uns“ fast
zwangsläufig Künstler in seinen Bann zieht. So wurden Anfang des
Jahres in der gleichnamigen Ausstellung im „Dortmunder U“
Arbeiten gezeigt, die Erzählungen über das Zeitalter der
nicht-menschlichen Akteure“ visualisierten. In diesem – bislang
fiktiven – Post-Anthropozän haben andere Lebensformen –
Algorithmen, KIs, künstlich erzeugte Nanopartikel, gentechnisch
veränderte Mikroorganismen – längst die Macht übernommen. Vor
einem solchen Zukunftsszenario warnte kürzlich auch Tesla-Chef
Elon Musk mit der klaren Aussage, dass Künstliche Intelligenz
die Menschheit in Zukunft bedrohen werde. Als Lösung des
Problems sieht auch er die Symbiose von Mensch und Technik, also
die Entwicklung hin zu Cyborgs, d.h. Transhumanen. Der
israelische Autor Yuval Noah Hararis prophezeite in seinem Buch
"Homo Deus" sogar eine göttliche Zukunft, in der allein des
Menschen Wille geschehe: „Gott ist tot, es dauert nur eine
Weile, den Leichnam loszuwerden.“ Fragt sich, ob dieser
Posthumanismus – so er denn tatsächlich eintreten sollte – ein
Vor- oder Nachteil für die Welt wäre.
Sind wir also auf dem Weg vom ehemaligen Super-Gau der
Evolution über den Homo Superior zum Techno-Sapiens oder gar zum
Homo Deus? Oder ist das Meiste davon nur phantasiereiche
Science Fiction? Auf jeden Fall stehen wir vor schwierigen
medizin-ethischen und weltanschaulichen Fragen. Wie viel
Übermensch wollen wir, wie viel vertragen wir? In Deutschland
ist die entsprechende Rechtslage noch ungeklärt. Rechtzeitiges
Nachdenken kann nicht schaden. Immerhin haben Menschen bisher
noch immer das getan, was technisch möglich war.
Einige zusätzliche Links
De:Trans – Deutsche Gesellschaft für Transhumanismus e.V.
http://www.transhumanismus.demokratietheorie.de/2006/12/28/detrans-deutsche-gesellschaft-fur-transhumanismus-ev/
The Institute for Ethics and Emerging Technologies
http://ieet.org/
Gesellschaft zur Förderung und kritischen Begleitung der
Verschmelzung von Mensch und Technik
https://cyborgs.cc /
CRYONICS Institute Germany e.V.
http://www.cryonics.de/home.htm
Transhumane Partei
http://transhumane-partei.de /