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Menschenrechte, Kopftuch und Verfassungstreue
Die Islamische Charta des ZMD in der Diskussion
Von Christa Tamara Kaul - Juli 2003
Alle Religionen beanspruchen für sich, die Wahrheit zu verkünden, allen voran die Offenbarungsreligionen. Die zivilisatorische Leistung einer jeden Religion liegt darin zu akzeptieren, dass die anderen Glaubensgemeinschaften mit dem gleichen Wahrheitsanspruch auftreten, und aufgrund dieser Erkenntnis mit ihnen in friedvoller Koexistenz zu leben. Doch längst nicht überall ist diese Zivilisationsleistung bisher erbracht worden.
Spätestens seit dem 11. September 2001, also seit den Attentaten islamistischer Terroristen in den USA, sehen sich Muslime auf der ganzen, besonders aber in der westlichen Welt tiefem Misstrauen und bisweilen strikter Ablehnung ausgesetzt. Die Verachtung von Menschenrechten, der Mangel an Toleranz und der militante Fundamentalismus einiger Gruppierungen und Regime mit einer wachsenden Zahl von Selbstmordattentätern wurden und werden vielfach dem Islam insgesamt angelastet. Dies veranlasste den Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD), Stellung zu beziehen und am 20. Februar 2002 die "Islamische Charta" zu veröffentlichen.
Die Islamische Charta ist eine in 21 Thesen gegliederte Grundsatzerklärung, mit der die "Beziehung der Muslime zum Staat und zur Gesellschaft" in Deutschland dargelegt und in Bezug auf die deutsche Verfassung geklärt werden soll. Zwar repräsentiert der ZMD nur etwa 10.000 - 15.000 der insgesamt rund 3,2 Millionen derzeit in Deutschland lebenden Muslime. Dennoch kommt der Charta zumindest im Rahmen eines "europäischen Islam" eine beachtenswerte liberale Vorreiterrolle zu, mit der längst nicht alle in Deutschland lebenden Muslime einverstanden sind. Bedauerlicherweise wurde die Charta in der breiten Öffentlichkeit bislang nur in geringem Umfang wahrgenommen. Da gleichzeitig eine Reihe von Punkten sehr vage, missverständlich oder fragwürdig formuliert ist, ist der Charta nicht nur eine größere Publizität zu wünschen, sondern es bedarf auch zusätzlicher Klarstellung bzw. der weiteren kritischen Diskussion.
Grund
genug
für
den
Ausschuss
Bildung,
Kultur,
Medien
des
FrauenRat
NRW,
sich
mit
diesem
Dokument
zu
beschäftigten
und
es
zum
Thema
einer
auch
für
Nichtmitglieder
offenen
Sitzung
zu
machen.
Einmal mehr verdeutlichten sowohl die einführenden Statements der beiden fachkundigen Referentinnen als auch die sich in der anschließenden Diskussion herausbildenden Standpunkte die keineswegs neue Tatsache, dass es "den Islam" und "die Muslime" kaum bzw. nicht gibt. Genau so wenig wie beispielsweise "die Christen". Das Spektrum der Koranexegese und der Gesetzesinterpretationen bietet eine noch größere Spannbreite, als es die ohnehin große Anzahl islamischer Länder und Regionen vermuten lässt. Und weil der Koran so vielfältig deutbar und keineswegs selbsterklärend ist, wie Amirpur betonte, gibt es heute - neben extrem fundamentalistischen und rückwärtsgewandten Vertretern - eine ganze Reihe islamischer Theologen, die zu sehr liberalen Interpretationen, beispielsweise hinsichtlich der Menschenrechte und der Rolle der Frau, gelangen.
Auch und gerade die ungefähr 25 Millionen Muslime in Europa (dabei ist Russland mit seinen muslimischen Regionen und Teilrepubliken wie beispielsweise Tschetschenien eingeschlossen) setzen sich aus unzähligen ethnischen, sozialen, politischen und ideologischen Gruppierungen zusammen, die in vieler Hinsicht zersplittert, ja teilweise zerstritten sind. Welche Richtungen werden sich durchsetzen? Entwickeln Muslime in Europa eigene Konzepte, so wie es der ZMD beispielsweise auf seinen Internetseiten auch immer wieder anfragt und diskutiert? Welche Ausprägung und Perspektive hätte ein solcher "europäischer Islam"? Gerade in dieser Hinsicht bietet die Islamische Charta einen Aufmerksamkeit verdienenden Ansatz.
Einigkeit herrscht(e) darüber, dass die im Rahmen des Islam wohl "revolutionärste" Passage der Charta die in These 11 getroffene Aussage ist, dass das Recht "die Religion zu wechseln, eine andere oder gar keine Religion zu haben" akzeptiert wird.
Besonders starkes Interesse richtet(e) sich auf die Charta-Thesen 6, 10. 11 und 13, da diese ein deutliches Klärungspotential in sich bergen. Diese Thesen betreffen Aussagen zur Stellung von Mann und Frau, zum Rechtsverständnis (u.a. Scharia) von Muslimen, zur Anerkennung des deutschen Grundgesetzes sowie der deutschen Rechtsordnung und zur Achtung der Menschenrechte.
Klarheit konnte die Vertreterin des ZMD, Iyman Salwa Alzayed, bei der Frage schaffen, was mit dem in These 13 zitierten "Kernbestand der Menschenrechte" gemeint ist. Demnach versteht der ZMD darunter die 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedete Charta der Menschenrechte in ihrer Grundversion, d.h. ohne die in späteren Jahren hinzugekommenen Ergänzungen.
Weitestgehend geklärt werden konnte auch die Bedeutung des Wortes "grundsätzlich" bei der in These 10 getroffenen Feststellung, dass Muslime in der Diaspora verpflichtet sind, "sich grundsätzlich an die lokale Rechtsordnung zu halten". Dies drückt aus, so Alzayed, dass die jeweilige "lokale" (also hier: deutsche) Rechtsordnung "ohne Wenn und Aber" einzuhalten ist. Allerdings mit der Einschränkung, dass diese Rechtsordnung nicht dem Glauben entgegen stehen dürfe. Das allerdings lässt wiederum Spielraum für je nach religiösem Standort weitreichende Interpretationen.
Besonders großen Diskussionsbedarf bergen nach wie vor zwei Eckpunkte: das Rechtsverständnis und die Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau. So konzentrierte sich die Diskussion der Ausschusssitzung recht schnell auf diese beiden Themenbereiche, wobei dabei nur ein sehr begrenzter Konsens zwischen den Auffassungen der ZMD-Vertreterin und denen der anderen Tagungsteilnehmerinnen erzielt wurde.
Das islamische Recht
Die Schwierigkeit von Europäern, die von einer auf griechisch-römischer und christlicher Tradition sowie auf der Aufklärung basierender Rechtsauffassung geprägt sind, mit dem islamischen Rechtsverständnis, liegt in der systemimmanenten, nahezu unbegrenzten Interpretationsfähigkeit des islamischen Rechtes. Wenn die Scharia, sozusagen als theozentrisches Metarechtssystem, u.a. gebietet, dass das jeweilige "lokale Recht" (unter dem ebenfalls wieder weit auslegungsfähigen Vorbehalt der Glaubenskompatibilät) einzuhalten sei, ergibt sich von selbst, dass damit nur schwer eindeutige, verbindliche Aussagen im Sinne einer Kanonisierung herausgebildet werden können und sich folglich auch kaum herausgebildet haben.
Auch hier besteht eine sehr breite innerislamische Meinungsvielfalt. Keineswegs nur Außenseiter vertreten die These, dass es "das islamische Recht" gar nicht gibt. Wie Katajun Amirpur mehrfach erwähnte, legen einige liberale Theologen ausgerechnet im "Gottesstaat" Iran den Koran in bislang kaum gehörter Weise aus. So fordern beispielsweise einige Exegeten die Einhaltung der Menschenrechte und die vollständige rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau. Dabei, so betont Amirpur nachdrücklich, lehnen sie sich nicht an die westlich-säkulare Aufklärung an, sondern entwickeln ihre Interpretationen aus der islamisch-iranischen Kultur heraus (siehe dazu den Artikel von Katajun Amirpur "Ansichtssache Koran"). Aufschlussreich dazu ist auch der Vortragstext "Recht und Religion im Islam" der am Max-Planck-Institut für auswärtiges und internationales Recht arbeitenden Islamwissenschaftlerin Dr. Nadjima Yassari. Dieser Text wird demnächst im Rahmen eines im Mohr Siebeck Verlag erscheinenden Sammelbandes veröffentlicht werden .
Stellung der Frau, das Kopftuch und die Verfassung
Dass die Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau immer wieder zu einem der wesentlichen Prüfsteine von Demokratiefähigkeit und Integrationswilligkeit islamischer MitbürgerInnen und Organisationen in Deutschland und anderen westlichen Ländern gerät, ist naheliegend angesichts der massiven Unterdrückung von Frauen in etlichen islamischen Staaten. Dass die Gleichberechtigungsdebatte sich dabei immer wieder am Kopftuch als Quasi-Symbol einer potentiellen Minderwertigkeit oder zumindest "Andersartigkeit" von Frauen festmacht, verwundert ebenfalls nicht - auch wenn dies eine starke Problemverkürzung darstellt - , da diesem Stück Stoff zumindest in Europa sowohl von seinen Trägerinnen als auch von seinen Kritikerinnen Signalcharakter zuerkannt wird. Entsprechend kontrovers verlief und verläuft weiterhin die diesbezügliche Diskussion.
Wiederholt und weltweit haben viele Frauen bewiesen und islamische Geistliche anerkannt, dass auch Frauen ohne Kopftuch gläubige Muslima sein können und sind. Die Islamische Charta bezieht zur Kopfbedeckung keinerlei Stellung. Sie betont die Rechte der Frauen - etwa das aktive und passive Wahlrecht - und fordert das Streben nach "Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit, Geschwisterlichkeit" beider Geschlechter, doch bekennt sie nicht ausdrücklich zu den entsprechenden Grundgesetzpassagen und verurteilt auch nicht die realiter in Deutschland vielfach noch gegebenen frauenbenachteiligenden muslimischen Positionen und Praktiken.
In der Argumentation "bekennender Kopftuchträgerinnen" liegen große Widersprüche, wie auch in der Ausschusssitzung erkennbar wurde. Kein ernst zu nehmender, Verantwortung oder gar ein politisches Mandat tragender Mensch wird MitbürgerInnen daran hindern, gemäß ihrem Glauben oder Weltanschauung zu leben. Es sei denn, diese verletzen die Rechte anderer Bürger und damit die Verfassung. Daher ist es schwer nachvollziehbar, wenn einerseits wiederholt betont wird , dass sowohl die weiten Interpretationsmöglichkeiten des Koran als auch der ausdrückliche Hinweis auf die Beachtung der jeweils "lokalen" Rechtsverhältnisse und Gewohnheiten eine breite Anpassungsfähigkeit erlauben, und andererseits gleichzeitig auf dem Kopftuch als religiöser conditio sine qua non bestanden wird. Zumindest in Europa und der westlichen Welt gibt es weder einen religiös zwingenden Anlass noch entsprechende traditionelle Gewohnheiten, die das Kopftuchtragen als Zeichen des religiösen Bekenntnisses bedingen würden. Schon gar nicht in einem weltanschaulich der Neutralität verpflichtetem Umfeld wie beispielweise dem öffentlichen Dienst und insbesondere dem Schuldienst . Wenn in diesem Zusammenhang manchmal auf das Tragen eines Kreuzes an einer Halskette verwiesen wird, offenbart dies lediglich Unkenntnis. Niemand wird es einer Muslima verwehren, einen Halbmond als Halsschmuck zu tragen, genau so wenig wie Juden oft den Halsschmuck eines Davidssternes wählen. Das Kopftuch aber signalisiert in westlichen Ländern etwas anderes.
Denn wenn hier aufgewachsene bzw. eingebürgert lebende muslimische Frauen auch im öffentlichen Dienst auf das Kopftuch als Symbol ihrer Religion nicht verzichten möchten, so kann das nur in zwei Richtungen gedeutet werden. Entweder sie benutzen dieses Kleidungsstück als bewusstes Abgrenzungssymbol, oder aber sie stehen eben nicht voll zu der Gleichberechtigung von Mann und Frau (Dem Mann ist bekanntlich die Kopfbedeckung nicht anempfohlen). In beiden Fällen sind Zweifel an einer Verfassungstreue berechtigt.
Die Argumentation, dass Männer und Frauen sich schon allein aufgrund ihrer unterschiedlichen Anatomie anders kleiden müssten, übersieht die Tatsache, dass dies in allen zivilisatorisch hochstehenden Kulturen zwingend ausschließlich für die Bedeckung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale gilt. Der Kopf gehört bekanntlich nicht zu diesen Merkmalen. Wenn mit dem Kopftuch hier dennoch eine unterschiedliche Kleiderordnung eingefordert bzw. demonstriert wird, müssen andere Gründe vorliegen. Und diese können nur in der unterschiedlichen Wertung bzw. vorgeblichen Wertigkeit von Mann und Frau begründet sein. Dass aber eine unterschiedlichen Wertung der Geschlechter nicht "beim Kopftuch stehen bleiben muss", haben in besonders krassem Ausmaß erst kürzlich die afghanischen Taliban demonstriert, die die Frauen in ihrem Land in gespensterähnlicher Verhüllung zur öffentlichen und geistigen Nicht-Existenz zwangen.
Um es nochmals zu unterstreichen: Das Kopftuch wird, wie es auch die Diskussion der FrauenRat-Ausschusssitzung zeigte, nicht als Bekenntnis zum Islam als einer von mehreren Glaubensmöglichkeiten abgelehnt, sondern als Symbol bestimmter Richtungen dieser Religion, für die es die volle Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht gibt und die mit dieser nicht verfasssungskonformen Ausrichtung zumindest im prägenden öffentlichen Umfeld unerwünscht sind. Dass westliche Frauen (und ebenso die meisten Männer) gegen den Versuch ankämpfen, eine solche Nicht-Gleichberechtigung und damit Verfassungswidrigkeit in Deutschland bzw. Europa zu etablieren, ist nicht verwunderlich; schließlich hat es auch in der eigenen Geschichte über längere Zeiten die Erfahrung der Ungleichstellung der Geschlechter gegeben. Dies soll sich auf keinen Fall wiederholen.
Ein Ende dieser "Gespenster"-Debatte ist noch nicht in Sicht. Das am 24. September 2003 verkündete Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum "Kopftuchstreit" der Lehrerin Fereshta Ludin weist den Gesetzgeber - also in diesem Fall die Bundesländer - an, entsprechende gesetzliche Grundlagen zu schaffen. Wie sich abzeichnet, werden die Länder hier nicht einheitlich verfahren. Vermutlich, so der Grünenpolitiker Cem Özdemir kürzlich in einem Artikel, wird es ein Ende aber auch erst dann geben, "wenn wir uns auf beiden Seiten auf die Suche machen - statt nach dem gefährlich Fremden, nach dem verbindenden Gemeinsamen, .... Vielleicht findet dann auch ein - aufgeklärter - Islam seinen Platz im Land der Dichter und Denker: 'Wer sich selbst und andere kennt, wird erkennen, Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen', schrieb Goethe in seinem West-östlichen Diwan."
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© Christa Tamara Kaul