Recht und Religion im Islam
Betrachtung
eines
umstrittenen
Themas
Von
Nadjma
Yassari
Als
ich
am
Anfang
meiner
Tätigkeit
am
hiesigen
Max-Planck-Institut
für
ausländisches
und
Internationales
Privatrecht
war,
ergab
es
sich,
dass
ich
an
einer
Konferenz
teilnahm
zum
Thema
"Das
islamische
Recht
in
westlichen
Gerichten".
Einer
der
Streitpunkte,
der
während
der
Veranstaltung
diskutiert
wurde,
war
die
Frage,
ob
es
möglich
sei,
in
einem
internationalen
Vertrag
eine
Rechtswahl
zugunsten
des
islamischen
Rechts
zu
treffen.
In
der
Hitze
des
Gefechts
meldete
sich
ein
Prof.
der
Universität
Tunis,
Prof.
Ali
Mezghani
zu
Wort
und
sagte:
"Le
droit
musulman
n'existe
pas"
das
islamische
Recht
existiert
nicht.
Ich
fragte,
Prof.
Mezghani,
was
genau
er
eigentlich
damit
gemeint
habe,
denn
seine
Aussage
entziehe
mir
mein
Forschungsgebiet,
und
er
sagte
mir,
ich
müsse
selbst
darüber
nachdenken
und
ich
würde
verstehen.
Nun,
ich
habe
nachgedacht
und
das
Ergebnis
meiner
Reflektionen
möchte
ich
heute
präsentieren.
Der
Satz
"Le
droit
musulman
n'existe
pas."
enthält
vier
Aussagen
auf
die
ich
im einzelnen
eingehen
möchte.
Zum einen enthält er eine Aussage zum ISLAM: hier geht es also um
den Fragekreis: was ist der Islam? Wie sind seine Glaubenslehren? Was
ist seine Botschaft? Was ist seine Verbreitung?
Zum
Zweiten
findet
man
eine
Aussage
zum
RECHT:
Recht
in
einem
religiösen
Kontext,
mit
dem
Fragekreis?
Was
ist
religiöses
Recht?
Was
sind
seine
Charakteristika?
Grenzt
es
sich
von
anderen
Bereichen
wie
Moral
und
Ethik
ab?
Was
sind
seine
Quellen?
Als
Dritter
Punkt
geht
es
um
die
EXISTENZ
des
Rechts:
Wie
und
durch
wen
ist
das
Recht
entstanden
bzw.
entdeckt
worden?
Wer
hat
es
formuliert
oder
abgeleitet?
Ist
es
nun
Gottes-Recht
oder
ist
es
Menschen-Recht?
Und
schließlich
der
vierte
Punkt
-
die
Gesamtaussage
des
Satzes:
Existiert
denn
nun
das
islamische
Recht?
Existieren
mehrere?
Wie
stellt
sich
dieses
Recht
heute
in
den
islamischen
Länder
dar?
Kann
ein
Blick
auf
die
Rechtsordnungen
islamischer
Länder
Aufklärung
bringen?
Vorausschicken
möchte
ich,
dass
der
Versuch
die
hier
aufgeworfenen
Fragen
zu
beantworten
mehrere
Semester
Vorlesung
füllen
könnte
und
dass
ich
keineswegs
abschließend
oder
vollständig
in
der
mir
zur
Verfügung
stehenden
Zeit
in
die
Materie
werde
eindringen
können.
Es
geht
mir
vielmehr
darum,
einige
Fragen
zu
stellen
und
mit
diesen
Fragen
der
Problematik
näher
zu
kommen.
Der Islam
Im
Jahre
610
beginnen
die
Offenbarungen,
die
Mohammad,
ein
Kaufmann
aus
Mekka
empfängt.
"Rezitiere
im
Namen
Deines
Herrn,
Der
erschaffen
hat"
sagt
Gottes
Engel
Gabriel
-
so
die
Überlieferung
-
und
Mohammad
spricht
ihm
nach.
So
bedeutet
auch
das
arabische
Wort
"Qur'an"
Rezitation.
Im
Laufe
der
nächsten
22
Jahre
verkündet
der
Prophet
Mohammad
zunächst
in
Mekka
und
danach
in
Medina
die
Lehre
von
dem
einen,
unsichtbaren
Gott.
Der
Islam
ist
keine
neue
Religion,
wie
der
Qur'an
selber
betont,
sondern
setzt
das
Judentum
und
das
Christentum
fort.
Der
Islam
erhebt
allerdings
den
Anspruch,
die
letzte
und
universale
Gestalt
der
Religion
zu
sein,
der
die
reine
Form
der
Religion
wieder
herstellen
soll.
Mohammad
schließt
somit
die
Reihe
der
Propheten
ab
und
wird
deshalb
auch
das
Siegel
der
Propheten
genannt.
Der
Islam
ruht
auf
5
Säulen:
das
Glaubensbekenntnis,
das
rituelle
Gebet,
die
Pilgerfahrt
nach
Mekka,
die
Almosensteuer
und
das
Fasten
im
10
arabischen
Mondmonat
Ramadan.
Mohammads
Predigten
waren
revolutionär.
An
die
Stelle
der
Blutsbande,
die
für
den
Gemeinschaftssinn
der
Stämme
und
Sippen
des
vorislamischen
Arabien
maßgebend
waren,
stellt
er
das
neue
gemeinschaftliche
Element
der
gemeinsamen
Religion,
und
gefährdet
mit
seiner
monotheistischen
Lehre
das
lukrative
Geschäft
der
Mekkaner
mit
den
Pilgern
der
Naturreligionen.
Zeittafel
Im
Jahre
622
AD
muss
er
nach
Medina
emigrieren.
Diese
Auswanderung,
arabisch
hejra,
ist
der
Beginn
der
islamischen
Zeitrechnung.
In
Medina
wird
Mohammad
Richter
und
Oberhaupt
der
kleinen
islamischen
Gemeinde.
Das
Recht,
das
er
spricht
besteht
nicht
aus
feststehenden
Regeln,
sondern
leitet
sich
aus
den
Offenbarung
ab.
Im
Gegensatz
zum
Christentum,
das
am
Rande
des
römischen
Reiches
entstanden
ist
und
die
ersten
Jahrhunderte
seines
Bestehens
ohne
öffentliche
Anerkennung
zugebracht
hat,
hat
der
Islam
seit
der
hejra
politisch
Erfolg.
Mohammad
ist
politischer
Führer,
er
ist
spiritueller
Führer
und
spricht
Recht.
Dies
stellt
die
einzige
Zeit
in
der
islamischen
Geschichte
dar,
in
der
man
von
der
Einheit
von
Politik,
Religion
und
Recht
sprechen
kann.
Der
Islam
breitete
sich
ungewöhnlich
schnell
und
weitreichend
aus.
Hundert
Jahre
nach
dem
Tod
Mohammads
reicht
das
islamische
Reich
im
Nord
Westen
bis
nach
Spanien,
im
Fernen
Osten
erreicht
es
die
heutigen
Länder,
Afghanistan,
Pakistan,
Indien,
bis
nach
China
und
Südostasien
bis
Malaysia
und
Indonesien.
Als
Mohammad
in
Medina
ankommt
beträgt
die
Zahl
seiner
Anhänger
75
Personen.
Im
21.
Jahrhundert
christlicher
Zeitrechnung
bekennen
sich
1,3
Milliarden
Menschen,
also
etwa
ein
Fünftel
der
Weltbevölkerung
zum
Islam.
Diese
Menschen
und
die
Traditionen,
denen
sie
verhaftet
sind,
haben
ihr
eigenes
Bild
des
islamischen
Glaubens
geprägt,
und
regionale
und
soziale
Faktoren
trugen
zu
einer
außergewöhnlichen
Vielfalt
in
der
Ausgestaltung
der
islamischen
Religion
bei.
Einer
dieser
Faktoren
ist
das
Recht.
II
Das
Recht
Unsere
Ausgangsposition
ist
die
Religion.
Wie
alle
monotheistischen
Religionen
beinhaltet
auch
der
Islam
den
Glauben
an
einen
Schöpfer,
der
durch
das
Medium
von
Offenbarer
mit
dem
Menschen,
seinem
Geschöpf
kommuniziert,
um
ihm
den
richtigen,
daher
zum
Heil
führenden
Weg
zu
weisen.
Der
Islam/
die
Religion
nimmt
also
für
sich
in
Anspruch,
neben
den
Pflichten
der
Individuen
gegenüber
Gott
auch
das
Verhältnis
der
Menschen
zueinander
zu
regeln.
Diese
Verhaltensvorschriften
-
moralische
und
ethische
sowie
alle
Gebote
und
Verbote,
die
weltliche
Belange
berühren
haben
alle
ein
gemeinsames
Ziel:
die
Verwirklichung
des
Willen
Gottes
auf
Erden.
Das
hat
zur
Folge,
dass
idealerweise
die
Religion
den
Rahmen
festlegt,
in
dem
sich
das
geistige,
gesellschaftliche
und
soziale
Leben
der
Gläubigen
abspielt.
Alle
Bereiche
des
sozialen
Seins
sollen
sich
an
den
ethischen
Grundlagen
der
Religion
orientieren,
um
dem
Ideal
einer
moralisch-religiösen
Gesellschaft
so
nah
wie
möglich
zu
kommen.
Dabei
bilden
die
heute
identifizierbaren
sozialen
Kategorien
von
Recht,
Moral,
Ethik
das
Ganze
der
Religion.
Werden
sie
einzeln
und
isoliert
von
einander
betrachten,
so
erscheinen
sie
in
einem
verfälschten
Licht.
Das
bedeutet
nicht,
dass
es
kein
juristisches
Eigenleben
im
Islam
gibt.
Es
bedeutet
aber,
dass
der
Rechtsbegriff
aus
der
Religion
besondere
Charakteristiken
und
Funktionen
hat,
die
ein
weltliches,
säkulares
System
nicht
hat.
Während
in
säkularen
Systemen
Veränderungen
in
der
Gesellschaft,
Veränderungen
im
Recht
verlangen,
ist
es
Aufgabe
des
religiösen
Rechts
die
Gesellschaft
zu
verändern,
sie
zu
erziehen,
und
ihre
Verhaltensweisen
derart
zu
lenken,
dass
sie
diesem
unterstellten
Willen
Gottes
entsprechen.
Das
Recht
und
die
Rechtsordnung
sind
daher
nicht
Instrumente
im
Dienste
der
Gesellschaft,
sondern
im
Dienste
Gottes.
Will
man
den
rein
religiösen,
theologischen
Teil
des
Glaubens
von
einem
rechtlichen
Teil
unterscheiden,
so
kann
funktional
vorgehen.
Die
Rolle
der
Theologie
wäre
dann,
das,
woran
der
Mensch
glauben
und
die
Ziele,
die
er
verfolgen
soll
(etwa
Gerechtigkeit,
Keuschheit,
Bescheidenheit,
die
fünf
Säulen
der
Religion),
zu
definieren.
Die
Rolle
des
Rechts
wäre
dann,
dem
Menschen
den
Weg
zu
zeigen,
wie
diese
Ziele
verwirklicht
werden
können.
In
diesem
Sinne
ist
auch
das
Wort
"Shari'a"
zu
verstehen,
welches
in
der
europäischen
Rechtsliteratur
oft
mit
"islamischem
Recht"
übersetzt
wird,
im
wörtlichen
Sinn
jedoch
"Weg
zur
Tränke/Quelle"
und
im
übertragenen
Sinne
bezeichnet
Shari'a
den
Weg,
den
der
Gläubige
gehen
muss,
damit
er
wieder
zur
Quelle
(Gott)
kommt.
Unter
der
Shari'a
darf
man
sich
kein
Gesetzeswerk,
vergleichbar
dem
BGB,
vorstellen.
Shari'a
ist
vielmehr
ein
Oberbegriff
für
die
Gesamtheit
der
dem
Menschen
auferlegten
Handlungsweisen.
Ihre
primären
Quellen
sind
der
Qur'an,
dh.
die
Aufzeichnungen
der
Offenbarungen,
aus
der
Sicht
eines
gläubigen
Moslems
das
unmittelbare
Diktat
Gottes
und
die
sunna;
das
sind
Überlieferungen
über
die
Taten
und
Worte
des
Propheten
Mohammad.
Daneben
gibt
es
die
sekundären
Quellen:
der
Konsens
(ijma)
der
Rechtsgelehrten
und
die
Rechtsfindung
durch
die
Juristen
mittels
Analogie
(qiyas)
und
Logik
(aql).Qur'an
und
sunna
Der
Qur'an
ist
weder
wissenschaftliches
Werk
noch
Gesetzestext.
Von
den
rund
6500
Versen
werden
etwa
500
als
Gesetzesverse
bezeichnet,
wobei
sich
der
größte
Teil
mit
dem
rituellen
Recht,
wie
dem
Gebet,
den
Waschungen
oder
dem
Fasten
auseinander
setzt.
Aus
etwa
80
bis
100
Versen
können
rechtliche
Inhalte
entnommen
werden.
Diese
Verse
betreffen
das
Erb-,
Straf-,
Prozess-,
Ehe-
und
das
Kaufrecht,
Rechtsbereiche,
bei
denen
ein
Regelungsbedarf
bestand.
Daher
die
Einführung
eines
Vermögens-
und
Erbrechts
für
die
Frauen,
den
Schutz
der
Waisen,
die
Anordnung
von
Treu
und
Glauben
im
Geschäftsverkehr
und
das
Glücksspiel-
und
Zinsverbot.
Da
die
Verse
vor
allem
ethische
Grundsätze
setzen
wollen,
sehen
sie
meist
von
der
Anordnung
weltlicher
Sanktionen
völlig
ab.
Aussagen
in
der
Form
"X
ist,
bei
sonstiger
Sanktion,
verboten
oder
geboten"
sind
im
Qur'an
kaum
zu
finden.
(5
oder
6
Verse)
Belohnung
oder
Strafe
erfahren
die
Menschen
erst
im
Jenseits.
Der
Qur'an
gibt
also
keine
erschöpfende
Antwort
auf
die
zahlreichen
Rechtsfragen
des
täglichen
Lebens.
Zur
Ergänzung
und
Interpretation
des
Qur'an
wurde
die
sunna
des
Propheten,
herangezogen.
Das
sind
Sammlungen
von
Berichten
über
das
Verhalten
des
Propheten
eine
Kompilation
von
Rechtsfällen
und
vorbildlichen
Verhaltensweisen.
In
die
sunna
floss
aber
auch
jenes
vor-islamische
Gewohnheitsrecht
ein,
dass
nicht
gegen
die
Werte
und
Ordnung
der
neuen
Lehre
verstieß
und
deshalb
weiterhin
in
der
Praxis
Anwendung
fand.
(Heute
gibt
es
in
der
sunnitischen
Welt
6
offiziell
anerkannte
Sammlungen,
die
als
authentisch
gelten.
Die
Schiiten
haben
ihre
eigenen
Sammlungen.)
Identifiziert
man
die
Shari'a
im
Wesentlichen
mit
diesen
konstitutiven
Texten,
so
erhält
man
zunächst
den
Eindruck
großer
Geschlossenheit.
Aber
schon
hier
ist
mehr
Spielraum
als
gedacht:
Qur'an
und
sunna
sind
vielschichtig,
nicht
leicht
zu
verstehen
und
erlauben
eine
Vielzahl
von
Auslegungen.
Es
ist
denn
auch
ein
sinnloses
Unterfangen,
wollte
der
Rechtsanwender
heute
den
Fall
mit
Berührung
zum
islamischen
Recht
aus
dem
Qur'an
und
der
sunna
heraus
lösen.
Die
Anfänge
der
islamischen
Rechtsgeschichte
stehen
ganz
im
Zeichen
der
Auslegung
und
Ableitung
und
der
Entdeckung
des
göttlichen
Willens
in
und
aus
den
Quellen.
III
Existenz
des
Rechts
Die
Aufgabe,
die
Verhaltensprinzipien
aus
der
Shari'a
zu
entdecken,
bzw.
sie
aus
den
primären
Quellen
abzuleiten,
oblag
besonders
qualifizierten
Spezialisten,
die
mujtahid
genannt
werden
und
die
Arbeit,
die
sie
verrichteten,
Ijtihad.
Ijtihad
bedeutet
im
arabischen
"das
Bemühen";
im
juristischen
Sinne
geht
es
darum,
eine
selbständige
Entscheidung
zu
treffen,
um
eine
Rechtsfrage
durch
Interpretation
der
Quellen
zu
lösen.
Die
von
den
Rechtsgelehrten
erzielten
Erkenntnisse
konnten
jedoch
nicht
ohne
Weiteres
allgemeine
Gültigkeit
beanspruchen,
denn
sie
waren
lediglich
Ausdruck
der
"subjektiven
Vermutung"
des
Rechtsgelehrten.
Kam
eine
Mehrheit
der
Gelehrten
zu
dem
gleichen
Ergebnis,
oder
fanden
gewonnene
Einsichten
die
eindeutige
Anerkennung
der
Mehrheit,
steigerte
sich
die
subjektive
Vermutung
zu
sicherem
Wissen.
Die
durch
diesen
Konsens
getragenen
Rechtssätze
wurden
schließlich
zur
Rechtsquelle
erhoben.
Durch
die
Lehre
vom
Konsens
fanden
die
Ansichten
der
jeweils
herrschenden
akademischen
Kreise
ihren
Ausdruck.
Er
entwickelte
sich
zu
einem
wichtigen
Instrument
der
Anpassung
an
soziale
Veränderungen;
und
bildet
in
der
Tat
die
Grundlage
vieler
Rechtsfiguren,
die
weder
aus
dem
Qur'an
noch
aus
der
sunna
hervorgehen.
Er
war
in
dem
sich
rasch
ausbreitenden
islamischen
Reich
durchaus
ortsgebunden,
beschränkt
auf
den
jeweiligen
geographischen
Einflussbereich.
Tatsächlich
führten
die
unterschiedlichen
methodischen
Ansätze
und
die
vielen
unterschiedlichen
Auffassungen
in
den
einzelnen
Rechtsfragen
zu
der
Ausbildung
der
Rechtsschulen
die,
die
Auffassungen
der
jeweiligen
Rechtsgelehrten
überlieferten
und
anwendeten.
Die
vier
bekanntesten
sunnitischen
Rechtsschulen,
die
sich
trotz
Differenzen
in
rechtlichen
und
rituellen
Fragen
als
rechtgläubig
anerkennen
und
sich
gegenseitig
respektieren,
sind:
die
Hanafiten,
Gründer
Abu-Hanifa
(699-767),
Verbreitung
in
Zentralasien,
Pakistan,
Türkei,
Syrien,
Jordanien,
die
Malikiten,
Gründer
Malik
(715-795),
Verbreitung
in
Nord-
und
Westafrika
und
dem
Sudan,
die
Shafiiten,
Gründer
Shafi'i
(767-820),
Verbreitung
in
Indonesien
und
dem
Vorderen
Orient,
und
die
Hanbaliten,
Gründer
Ibn
Hanbal
(780-855),
Verbreitung
in
Saudi-Arabien.
Das
als
vierte
Rechtsquelle
genannte
selbständige
Denken
der
Juristen
ist
im
Grunde
nichts
anderes
als
die
Anwendung
von
ijtihad.
Nach
einem
westlichen
Verständnis
ist
es
als
Methode
zu
qualifizieren,
um
Vorschriften
abzuleiten,
die
die
Qualität
einer
Rechtsquelle
erlangen.
Diese
Methode
wird
bei
den
Sunniten
qiyas
(Analogie),
bei
den
Schiiten
aql
(Vernunft
oder
Logik)
genannt.
So
wurde
zum
Beispiel
das
Verbot
des
Genusses
von
Rebwein
auf
andere
berauschende
Getränke,
etwa
Dattelwein,
ausgedehnt,
weil
sie
beide
den
Verstand
trüben
und
zur
Erfüllung
der
Gebote
Gottes
unfähig
macht.
Auch
die
Strafe
für
den
Konsum
von
Alkohol
ist
durch
Analogie
ermittelt
worden:
die
Strafe
ist
derjenigen
für
Meineid
nachgebildet,
mit
der
Begründung,
dass
der
Verstand
einer
betrunkenen
Person,
ähnlich
getrübt
sei,
wie
bei
einer
Person,
die
einen
Meineid
leistet.
Das
Ergebnis
dieser
Deduktionsarbeit
wird
Fiqh
genannt.
Fiqh
bedeutet
wörtlich
das
Verstehen
oder
die
Einsicht.
Damit
wird
ausgedrückt,
dass
es
2
Stufen
gibt:
zum
einen
die
Shari'a,
die
göttlichen
Ursprungs
ist
und
in
der
Offenbarung
versteckt.
Und
das
Fiqh-Recht:
das
Ergebnis
menschlicher,
daher
fehlbarer
Analyse.
Eine
andere
Art,
dieses
Verhältnis
zu
umschreiben,
ist,
Shari'a-Recht
als
Gottesrecht
und
Fiqh-Recht
als
Juristen-recht
zu
bezeichnen.
Die
Fiqh-Werke
sind
nicht
in
systematischer
Weise
nach
Sachgegenständen
geordnet.
Die
Diskussion
genereller
Themen
erfolgt
vielmehr
anhand
konkreter
Einzelvorschriften,
ist
also
kasuistisch
im
Sinne
eines
Case-laws.
Die
Fiqh-Werke
wurden
im
Laufe
der
letzten
tausend
Jahren
durch
eine
Vielzahl
von
Lehrbüchern,
Kommentaren,
Monographien
und
Fatwas
(Rechtsgutachten)
angereichert.
Das
Recht
blieb
jedoch
bis
zum
neunzehnten
Jahrhundert
unkodifiziert.
Die
einzelnen
Vorschriften
mussten
in
den
Werken
und
Lehrbüchern
gesucht
werden.
Die
meisten
dieser
Werke
waren
jedoch
in
einem
alten
Arabisch
geschrieben
und
den
Praktikern
des
19.
Jahrhunderts
nicht
vertraut.
IV
Kodifikation
des
Rechts
Erst
Ende
des
neunzehnten
Jahrhunderts
kamen
Bestrebungen
auf,
islamisches
Recht
als
positives
Recht
zu
formulieren.
Die
koloniale
Unterwerfung
großer
Teile
der
islamischen
Welt
im
neunzehnten
und
zwanzigsten
Jahrhundert
hatte
bereits
eine
umfangreiche
Reformdiskussion
ausgelöst.
Der
Reformbedarf
war
durch
einen
Vergleich
der
Lage
der
islamischen
Welt
mit
der
wirtschaftlichen,
gesellschaftlichen
und
militärischen
Situation
in
Europa
sichtbar
geworden.
Die
ausgebliebene
Anpassung
der
Rechtslage
an
die
Gegebenheiten
und
Notwendigkeiten
der
Zeit
wurde
zwar
als
wesentliche
Ursache
für
den
Niedergang
der
eigenen
Stellung
angesehen,
gleichzeitig
hatten
die
Kolonialmächte
fast
die
gesamte
Region
erobert,
so
dass
"innerislamische"
Entwicklungen
nur
noch
in
wenigen
unabhängigen
Staaten
wie
dem
osmanischen
Reich
erfolgen
konnten.
1.
Die
Majalla
Tatsächlich
ist
die
erste
Sammlung
islamischen
Rechts
die
osmanische
Majella
von
1876.
Sie
kleidet
die
islamische
Jurisprudenz
in
ein
neues
Gewand,
nämlich
in
ein
kodifiziertes
Gesetzbuch.
Dabei
kompiliert
sie
die
herkömmlichen
islamischen
Vorschriften
und
basiert
hauptsächlich
auf
hanafitischem
Recht.
Mit
der
Majella
sollte
das
materielle
Recht
übersichtlicher
und
dem
Rechtsanwender
ein
praktikablerer
Gesetzestext
in
die
Hand
gegeben
werden.
2.
Kodifikationen
in
den
arabischen
Ländern
und
dem
Iran
In
den
Nachfolgestaaten
des
osmanischen
Reichs,
in
der
arabischen
Welt
kam
es
erst
mit
der
Unabhängigkeit
in
den
vierziger
und
fünfziger
Jahren
zu
einer
großen
Kodifikationswelle.
1949
trat
das
ägyptische
Zivilgesetzbuch
in
Kraft,
und
strahlte
gleichsam
als
Mutterrechtsordnung
auf
alle
arabischen
Staaten
aus.
Die
Zivilrechtskodifikationen
von
Syrien
(1949),
Libyen
(1954),
Algerien
(1975)
und
Somalia
(1973)
beruhen
im
Wesentlichen
auf
dem
ägyptischen
Vorbild;
mit
Einschränkungen
gilt
das
auch
für
die
Zivilgesetzbücher
des
Iraks
(1951),
Jordaniens
(1976),
Kuwaits
(1980)
und
der
Vereinten
Arabischen
Emirate
(1985).
Der
Iran
hatte
bereits
in
den
Jahren
1928-35
ein
Zivilgesetzbuch
erlassen.
Bei
diesen
Kodifikation
stellte
sich
die
Frage,
wie
und
inwieweit
die
islamischen
Vorschriften
berücksichtigt
werden
sollten.
Die
meisten
islamischen
Länder
haben
in
ihren
Verfassungen
den
Islam
zur
Staatsreligion
erhoben,
manche
haben
das
"Recht
der
Shari'a"
oder
"ihre
Grundsätze"
zu
"einer"
oder
"der"
Quelle
des
Rechts
erkoren.
Saudi
Arabien
kennt
kein
kodifiziertes
Privatrecht
und
beruft
sich
in
seiner
Verfassung
ausschließlich
auf
das
"Buch
Gottes".
Dabei
bleiben
viele
Fragen
offen.
Welches
Recht
und
welche
Vorschriften
sind
eigentlich
gemeint?
Welche
Konsequenzen
haben
diese
Verfassungsnormen
für
bestehende
Vorschriften
im
nationalen
Recht?
Gilt
das
islamische
Recht
per
se
oder
sind
die
Verfassungsnormen
Auftrag
an
den
Gesetzgeber,
islamische
Vorschriften
zu
erlassen?
Muss
"islamisches
Recht"
in
nationales
Recht
transformiert
werden?
Und
wenn
schließlich
der
Gesetzgeber
aufgerufen
ist,
islamische
Vorschriften
zu
erlassen,
hat
er
denn
auch
die
Kompetenz,
diese
wieder
zu
verändern?
Es
würde
den
Rahmen
dieses
Vortrages
sprengen,
versuchte
man
auf
all
diese
Fragen
einzugehen.
Ich
möchte
Ihnen
jetzt
unter
Punkt
4
einige
Beispiele
geben,
welche
Regelungen
in
den
einzelnen
nationalen
Rechtsordnungen
islamischer
Länder
für
ein
und
denselben
Sachverhalt
gefunden
worden
sind,
jeder
mit
dem
Anspruch
islamisch
zu
sein,
um
letztlich
auch
die
Frage
zu
berühren,
ob
islamisches
Recht
heute
noch
existiert
oder
nicht.
Existiert
das
Islamische
Recht?
Wenn
wir
uns
die
Rechtssysteme
einiger
islamischer
Länder,
also
solcher
Länder
die
mehrheitlich
eine
islamische
Bevölkerung
haben
ansehen
und
die
Rechtslagen
dort
vergleichen
sehen
wir
folgendes:
Im
Bereich
des
Vermögensrechts:
Es
gibt
Länder
(Rechtsordnungen),
die
allgemein
das
Zinsverbot
kennen
und
durchsetzen
(Iran,
Pakistan)
es
gibt
Länder,
die
das
Zinsverbot
nicht
durchsetzen
(Ägypten)
es
gibt
Länder,
die
das
Nehmen
von
Zinsen
in
privatrechtlichen
Geschäften
ablehnen
und
in
kaufmännischen
Transaktionen
erlauben
(VAE).
Sie
mögen
sagen,
dass
seien
unsensible
Themen:
Wenden
wir
uns
dem
Familierecht
zu:
In
den
meisten
islamischen
Länder
ist
Polygamie
erlaubt,
uneingeschränkt
in
Saudi
Arabien,
mit
gerichtlicher
Genehmigung
im
Irak,
in
Syrien
kann
die
Zweitehe
für
die
ersten
Frau
eine
Scheidungsgrundlage
geben
und
in
Tunesien
ist
Polygamie
seit
1956
abgeschafft
und
unter
Strafsanktion
gestellt.
Im
Iran,
ist
nicht
nur
die
Polygamie
erlaubt,
daher
die
Eingehung
von
4
Dauerehen,
sondern
es
gibt
dort
eine
Besonderheit
des
schiitischen
Rechts:
die
Möglichkeit
der
sogenannten
Genußehe
daher
eine
Ehe
auf
Zeit,
die
mit
Fristablauf
endet.
In
Ägypten
wurde
Anfang
2000
ein
neues
Personalstatutgesetz
diskutiert,
das
den
Frauen
die
Möglichkeit
geben
soll,
ohne
Einwilligung
des
Mannes
unter
Verzicht
ihrer
vermögensrechtlichen
Ansprüche
die
Scheidung
zu
begehren.
Dieses
Gesetz
hat
so
viel
Aufruhr
erzeugt,
wie
zuletzt
der
Fall
Abu
Zayd
der
wegen
Apostasie
von
seiner
Frau
zwangsgeschieden
wurde,
obwohl
die
Praxis
dieser
sogenannten
Khol
Scheidung
zu
Zeiten
des
Propheten
erlaubt
und
praktiziert
wurde.
In
Malaysia
gibt
es
an
der
Universität
von
Kuala
Lumpur
ein
Lehrgang
zum
islamischen
Strafrecht,
den
zum
Curriculum
gehört,
obwohl
das
islamische
Strafrecht
dort
nicht
in
Kraft
ist,
während
in
Saudi
Arabien
die
Körperstrafen
des
islamischen
Strafrechts
täglich
vollstreckt
werden.
Diese
Liste
kann
mit
vielen
weiteren
Beispielen
weiter
geführt
werden.
Die
Transformation
des
islamischen
Rechts
mit
ihren
regionalen
Variationen
und
Rechtsschulen
in
die
nationalen
Rechtsordnungen
islamischer
Länder
und
das
Einbinden
des
Rechts
in
ein
kodifiziertes
System,
haben
dazu
geführt,
dass
der
Begriff
"des
islamischen
Rechts"
in
Algerien
etwas
anderes
bedeutet
als
in
Pakistan,
in
Ägypten
etwas
anderes
ist
als
im
Iran.
V
Conclusio
Den
Islam
als
faßbare
Größe,
die
Gesellschaften
und
Menschen
zusammenführt
und
dabei
Kunst
und
Politik,
Recht
und
Wirtschaft
von
Marokko
bis
Indonesien
so
stark
geprägt
und
gestaltet
hat,
daß
man
sie
als
Teil
einer
Einheit
verstehen
kann,
hat
es
in
dieser
Art
nie
gegeben.
Die
Muslime
sind
durch
ihr
gemeinsames
Bekenntnis
zum
Islam
miteinander
verbunden.
Doch
genauso
wenig
wie
es
ein
einziges
Christentum
oder
ein
einziges
Judentum
gibt,
gibt
es
keinen
einzigen
Islam.
Dasselbe
gilt
erst
Recht
für
das
Recht.
Bereits
durch
die
Notwendigkeit
der
Interpretation
und
Ableitung
mischt
sich
in
das
unvergänglich
Göttliche
die
menschliche
Analyse,
der
Pluralismus
inhärent
ist.
Ob
man
weiterhin
von
"einem
islamischen
Recht"
sprechen
kann,
ist
mehr
als
fraglich.
Ohne
Nuancierung,
welche
konkreten
Vorschriften,
welche
Rechtsschule,
welche
Epoche
angesprochen
sind,
bleibt
der
Begriff
"islamisches
Recht"
sehr
vage
und
unhandlich.
Ersetzt
man
den
Ausdruck
"islamisches
Recht"
durch
"Recht
der
Muslime",
kommt
vielleicht
besser
zum
Ausdruck,
dass
es
sich
um
das
Recht
der
Muslime
einer
bestimmten
Zeit
und
einer
bestimmten
Gesellschaftsordnung
handelt.
Es
spiegelt
deren
Lebensarten
und
Bedürfnisse
wider.
Andererseits
deutet
der
Ausdruck
"Recht
der
Muslime"
auf
ein
von
Menschen
gestaltetes
Recht,
welches
durchaus
fehlbar
ist
und
einem
menschlichen
Eingriff
nicht
entzogen
werden
darf.
Ich
weiß,
dass
ich
viele
Fragen
gestellt
und
wenige
beantwortet
habe,
aber
so
wie
Prof.
Mezghani
mich
aufforderte
mich
um
Verständnis
zu
bemühen,
hoffe
ich
Ihnen
den
einen
oder
anderen
Denkanstoß
gegeben
zu
haben,
um
die
Materie
mit
einem
differenzierten
Blick
zu
betrachten.
Dieser
Vortrag
wurde
anlässlich
der
54.
Jahresversammlung
der
Max
Planck
Gesellschaft
zur
Förderung
der
Wissenschaften
E.V.
am
4.
Juni
2003
in
Hamburg
gehalten.
Die
Veröffentlichung
erfolgt
mit
freundlicher
Genehmigung
der
Autorin.