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Foto: Peter Weidemann, pfarrbriefservice
Das Zeitalter des Christentums ist
vorbei. Eine neue Ära hat begonnen, in der Christen sich neu
gegenüber ihrer Umwelt positionieren müssen, wenn sie das kulturelle
und spirituelle Erbe des Christentums weitergeben wollen. Diese an
Deutlichkeit kaum zu übertreffende Einschätzung stammt von Kardinal
Marc Ouellet, bis 2023 Präfekt der vatikanischen
Bischofskongregation. Mehr noch: Auch der italienische Kardinal
Matteo Zuppi, der insgeheim als einer der möglichen Nachfolger von
Papst Franziskus gehandelt wird, bekräftigte, dass die Kirche im 21.
Jahrhundert ihre Rolle neu finden muss. Welche Zukunft also haben die
Kirchen eigentlich noch?
Die spinnen, die Römer, meinte bekanntlich vor langer Zeit der dicke
Obelix. Doch diese neuerdings aus Rom zu hörenden Töne sind ganz
offensichtlich keine Spinnerei. Der Mitglieder- und damit
Bedeutungsverlust der katholischen wie auch der evangelischen Kirche
in Deutschland und darüber hinaus in ganz Europa ist dramatisch. Bei
der zuletzt veröffentlichten katholischen Kirchenstatistik gab die
Deutsche Bischofskonferenz daher auch nur noch die nackten
„tiefroten“ Zahlen bekannt und verzichtete, anders als in den
vergangenen Jahren, auf jeglichen Kommentar. Tatsache ist, dass
Christen und Christinnen mittlerweile weniger als die Hälfte der
Bevölkerung in Deutschland stellen.
Und unter den noch verbliebenen Christen und Christinnen werden
die Selbstbewussten immer rarer, diejenigen, die ihre
Glaubensüberzeugungen mit einer gewissen Selbstverständlichkeit
vertreten. So gelingt es auch christlichen Eltern immer seltener, den
Glauben an ihre Kinder weiterzugeben. Doch auch wenn Teile der
Bevölkerung offensichtlich ganz ohne den Glauben auskommen, so ist
ebebso offensichtlich, dass viele andere durchaus spirituelle
Bedürfnisse haben, diese jedoch nicht mehr von den Kirchen erfüllt
sehen. Sie glauben zwar nicht an den „biblisch, kirchlich oder
rabbinisch beschriebenen Gott“, meint dazu der jüdische Historiker
und Publizist Michael Wolffsohn, doch durchaus an eine den Kosmos
beherrschende spirituelle Urkraft. „Ihr Gott ist nicht tot, er lebt,
und er ist anders.“ Da fragt sich, wie ist er, wo wird er gesucht?
„Die größte Dummheit der Kirche ist zu politisieren, statt
sich mit dem Thema Gott-Mensch zu befassen“, so die Ansicht von
Michael Wolffsohn. Jenseits der teilweisen Verderbtheit ihres
Personals sieht er – sozusagen als außerhalb stehender Beobachter –
den großen Fehler der Kirche(n) vor allem darin, dass sie sich
vorrangig mit Sexualtheologie, Zölibat, Genderfragen, Sozialethik
sowie – hier besonders die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) –
mit Politik befasse(n). Mehr als andere betätige sich beispielsweise
„die EKD als NGO, als austauschbarer Verband in der
Verbandsdemokratie, statt sich dem Alleinstellungsmerkmal
Gottesbotschaft“ zu widmen.
Durchaus ähnlich argumentiert der Wiener Theologe Paul Zulehner.
Statt in Pessimismus und Jammerei zu verfallen, sollte die Chance von
Religion erkannt werden in einer Zeit, in der den Menschen angesichts
von Kriegen, Klimaveränderungen oder Migration die
Hoffnungsressourcen ausgingen. Es gelte, auf eine neue Weise von Gott
zu reden; aber ohne Vorschriften an die Gläubigen, sie müssten "so
oder so" sein, sonst drohe Strafe. Also ohne Gängelei. Es sei
vielmehr ein einladender Hinweis darauf gefragt, was das Evangelium
für Möglichkeiten im Leben eröffne. Nicht zuletzt aber sei dringend
ein neues Amtsverständnis der Kirche vonnöten. Erste Messlatte dafür
sollten nicht Geschlecht, Lebensstand oder akademische Ausbildung
sein, sondern vor allem die Zufriedenheit mit der jeweils gewählten
Lebensform – egal ob diese verheiratet oder ehelos, heterosexuell
oder homosexuell realisiert wird.
Eine Sichtweise, die umso überzeugender wirkt, als zwar
einerseits der Fortschritt in Wissenschaft und Technologie zu stark
rationalen Denkweisen geführt hat, was die Distanz zu religiösen
Welterklärungsversuchen und Vorschriften befördert. Andererseits aber
– wie bereits gesagt – viele Menschen durchaus noch das Bedürfnis
nach einer spirituellen Verbindung zu etwas Transzendenten,
Übernatürlichen haben. Wobei dies zunehmend in Mantras, Astrologie
oder neuerdings sogar wieder in Hexerei (Witchcraft) und
Neopaganismus gesucht wird. Praktiken, die meist einen flexiblen
Ansatz bieten, der sich an die Bedürfnisse des/der Einzelnen anpassen
läßt.
Was also tun? Eine einfache Antwort auf diese (u.a. schon von
Lenin in seinem zentralen Hauptwerk gestellte) Frage lässt sich
(noch?) nicht geben. Aber es gibt Richtungshinweise – nicht zuletzt
aufgrund der Ende 2023 veröffentlichten 6.
Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) der EKD, an der sich auch
die Katholische Kirche beteiligt hat. Demnach ist vor allem das
Geschehen an der Basis von Bedeutung – und bietet sogar etwas
Hoffnung. Denn dort ist noch immer ein recht hohes Maß an
freiwilligem, teilweise auch außerkirchlichem Engagement von
Kirchenmitgliedern festzustellen.
Wichtig ist, was in der Gemeinde passiert. So ließe sich also
– stark vereinfacht und verkürzt – eine grundlegende Erkenntnis aus
der KMU als kleiner Hoffnungsschimmer zusammenfassen. Wie auch andere
Untersuchungen bereits zeigten, sollten die Kirchen auf Gemeinden
setzen, die sich aktiv in ihre jeweiligen Sozialräume integrieren.
Darüber hinaus könnten weitere niederschwellige Angebote zu „lebensbegleitenden
Ritualen“ den Zugang zu kirchlichen Gemeinden ermöglichen.
Wobei eine Studien-Erkenntnis ziemlich überraschend daherkommt.
Gingen in der Vergangenheit steigender Wohlstand und höhere Bildung
einer Gesellschaft mit abnehmender Religiosität einher, so hat sich
seit etwa 1990 dieser Zusammenhang offenbar umgekehrt. Kirchliche
Religiosität korreliert inzwischen mit höherer Bildung und größerem
Einkommen. Die Autoren der KMU erkennen in dieser Entwicklung eine
„Milieuverengung“. Was man, wie etwa ein Kommentator der FAZ, auch
positiv interpretieren kann: „Wenn die Kirchen noch bei jenen
Rückhalt finden, die auch sonst den Laden zusammenhalten, ist
zumindest noch nicht alles verloren.“
Allerdings
werden auch die besten Gemeinden angesichts eines überholten
Glaubenskanons auf Dauer nicht bestehen können. Darauf wies Bischof
Dr. Georg Bätzing im Februar beim Eröffnungsgottesdienst der
Bischofskonferenz in Augsburg hin: "Unser Sprechen von Gott wird sich
verändern müssen, dringend", so Bischof Bätzing klipp und klar.
"Wir tun ja als Kirche immer noch so, als wüssten wir eindeutig, wie
Gott ist und was er von uns erwartet. Doch in weiten Teilen haben
unsere Bilder von Gott und unser Reden über ihn den Anschluss an das
Wissen unserer Zeit verloren."
Christa Tamara Kaul - Februar 2024
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