Detlef
Horster: Jürgen Habermas und der Papst
Gerechtigkeit und
Nächstenliebe im säkularen Staat
Von
Christa
Tamara
Kaul -
2006
Vernunft,
Glaube und Gerechtigkeit sind zentrale Punkte der Gedankengebäude sowohl
von Papst Benedikt XVI., alias Josef Ratzinger, als auch von Jürgen
Habermas, Quasi-Staatsphilosoph des demokratischen Deutschlands und
kirchenferner Theoretiker der kritischen Vernunft. Dabei nähern sich die
beiden den Themen teilweise mit unterschiedlicher Herangehensweise und
Intention.
Einig sind sie sich jedoch u.a. in der Einschätzung, dass die in der
Gegenwartsgesellschaft vorherrschende rationale Moral mit ihren
reziproken Rechten und Pflichten, die dem merkantilen Vertragsprinzip
nachgebildet sei, keine umfassende Gerechtigkeit bieten könne. Darum
führt Habermas das Moralprinzip der Nächstenliebe in seine
Gesellschaftsentwürfe ein, was seit jeher einer der zentralen Punkte der
Schriften Josef Ratzingers ist und besonders deutlich in seiner ersten
Enzyklika „Deus caritas est“ als Papst zum Ausdruck kommt. Habermas und
Ratzinger waren sich bei ihrem viel beachteten Diskurs Ende 2004 in
München in der Analyse einig, dass einerseits eine formale, auf
Gleichheit beruhende Gerechtigkeit angestrebt, andererseits aber darüber
hinaus die Nächstenliebe angemahnt werden müsse, um Fehlentwicklungen
dort auszugleichen, wo das Gleichheitsprinzip zu ungerechten Zuständen
führe. Besonders mit diesem Aspekt setzt sich Detlef Horster in seinem
Essay kritisch auseinander und fragt von einem sozialphilosophischen
Standpunkt aus nach den Möglichkeiten und Grenzen religiöser Impulse für
die Moral der Gegenwart.
Weitere Schwerpunkte in Horsters Essay sind Darstellung, Vergleich und
Untersuchung der Ansichten von Benedikt XVI. und Habermas bezüglich der
Installation und Begründung von moralischen Werten im säkularen Staat.
Auch wenn die beiden die Rolle der Religion im säkularen Staat
unterschiedlich sehen, so stimmen doch beide überein in der Diagnose des
schleichenden Verschwindens der knappen Ressource "Sinn" in Zeiten der
Globalisierung, eine Entwicklung, der mit religiösen Elementen zu
begegnen sei. Eine äußerst aufschlussreiche Lektüre, ein Lese-Muss für
alle, die sich mit dem Themenbereich Werte, Wertewandel und
Werterelativismus sowie Gerechtigkeit beschäftigen.
Detlef
Horster: Jürgen Habermas und der Papst - Glauben und Vernunft,
Gerechtigkeit und Nächstenliebe im säkularen Staat, transcript
Verlag, Bielefeld, 2006, ISBN 3-89942-411-5, 13,80 €