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Verschwörungstheorien ~
auf
Teufel komm heraus
von
Christa
Tamara
Kaul - Januar 2021
Schon lange nichts mehr vom Teufel gehört? Kein
Wunder, denn aus der kirchlichen Verkündigung
ist er weitgehend verschwunden, sozusagen in
Ungnade gefallen – wenn man mal die Experten von
Radio Maria beiseite lässt. Aber kein Problem,
erstaunlich viel besorgte Mitmenschen in aller
Welt helfen da gern aus. Sie haben sich der
Enttarnung finsterer Mächte angenommen und
warnen uns vor jeder Menge satanischer
Verschwörungen.
Wir leben in einer schlimmen Zeit. Sagen die
besorgten Mitmenschen. Hinterhältige Regierungen
und finstere Geheimzirkel trachten danach, uns
zu unterdrücken, auszubeuten und sogar zu
vernichten. Deutschland ist kein souveränes Land
mehr, die Mondlandung war eine gut inszenierte
Täuschung, Corona ist eine Erfindung
der Pharmakonzerne, um uns mit Impfungen das Geld
aus der Tasche zu ziehen, und IT-Unternehmer wie
Bill Gates wollen uns per Impfung Chips
einpflanzen lassen. Ganz zu schweigen von den
Reptiloiden, die überall lauern. Der Gipfel des
Fürchterlichen aber ist das sinistre Treiben,
das QAnon (oder kurz nur Q) uns offenbart hat.
Dieses Q – unbekannt, ob sich dahinter ein
einzelner oder eine Gruppe verbirgt – tauchte
2017 kurz nach dem Amtsantritt von Donald Trump
mit Verschwörungstheorien der rechtsextremem Art
im Internet auf. Kern der (völlig belegfreien)
Horrormeldungen ist die Behauptung, dass eine
weltweit agierende satanistische Elite Kinder
entführe, sie gefangen halte, foltere und
schließlich ermorde, um aus ihrem Blut eine
Verjüngungsdroge zu gewinnen.
Und – nicht zu
vergessen - auch innerhalb der Kirche gibt es
Verschwörungsspezialisten, allen voran die
diversen nationalen Versionen von Radio Maria. Die Pandemie
sei ein Komplott der globalen Eliten, eine Welt
des Satans (sic: da ist er ja doch noch), in der
wir alle zu Zombies würden, erklärte etwa Pater Livio Fanzaga Ende letzten Jahres.
Das ließe sich ja noch mildtätig
überhören, wäre der 80-Jährige nicht Direktor
des erzkatholischen Radio Maria, einem der
einflussreichsten Sender
Italiens, der den Papst immer wieder gehörig nervt. Das
alles muss man erst mal verdauen. Dagegen sind
die Querdenker (… hm, auch der Name fängt mit
einem Q an …) und Alu-Hut-Träger auf unseren
Straßen schon fast ein niedliches Völkchen.

Grundsätzlich ist der Tenor jedoch bei all
diesen „Besorgten“ und „Rufern in der Wüste“ der
gleiche, dass nämlich „das Volk“ von den
Herrschenden, allen voran von den Regierungen,
ständig belogen, überwacht und manipuliert
werde. Wobei – und das ist daran das Verblüffendste – die Einstellung von absolutem
Misstrauen und grundsätzlicher Skepsis gegenüber
der Realität paradoxerweise gleichzeitig mit
einem bedingungslosen Vertrauen in die
unglaublichsten Gerüchte und „alternative
Fakten“ einhergeht. „Totale Skepsis räumt hier
gewissermaßen das Terrain frei und bereitet den
Boden, auf dem totale Leichtgläubigkeit
ungehindert wuchern kann“, formulierte es
Michael Mertes treffend in den „Stimmen der
Zeit“ (11/2020). Wer so denkt, versteht ganz
offensichtlich die ihn umgebende Welt nicht mehr
– und findet in den kruden Erzählungen der
Verschwörungsmythen simple Darstellungen eines
vermeintlichen Feindes, dem die Schuld für alles
Ungemach und Unglück in die Schuhe geschoben
werden kann. „Für viele Leute ist das eine
emotionale Erleichterung und gibt ihnen das
Gefühl der Kontrolle zurück“, meinte dazu etwa
Giulia Silberberger in ihrem Podcast „Smarter
leben“. Es hilft in Krisenzeiten, wie es
eben auch die gegenwärtige Corona-Pandemie ist,
manchen in ihren Ängsten und Einschränkungen
offenbar weiter.
 Zwar gibt es Verschwörungsdenken seit
urerdenklichen Zeiten, und das überall in
Gesellschaft und Politik, vor allem aber am ganz
rechten und am ganz linken Ende des politischen
Spektrums. Wobei derzeit allerdings
rechtsradikale und radikalislamische
Verschwörungstheoretiker dominieren. Und – wen wundert’s? –
der Begriff „Verschwörungstheorie“ hat sich
nicht nur bereits auch als rhetorische Waffe im
Meinungskampf etabliert, sondern auch in der
Kirche Einzug gehalten. „Jeder nennt jetzt jeden
Andersdenkenden Verschwörungstheoretiker“,
beklagte sich etwa Kurienkardinal Gerhard Müller
im Mai 2020. Was grundsätzlich nicht von der
Hand zu weisen ist. „Allerdings war der gegen
ihn gerichtete Vorwurf, Verschwörungsdenken
Vorschub geleistet zu haben, angesichts der
abenteuerlichen Spekulationen in dem von ihm mit
unterzeichneten Aufruf „Veritas liberabit vos“
vom 7. Mai 2020 leider sachlich zutreffend“,
betonte – nicht nur – Michael Mertes.
Einen der Gründe für die generelle Zunahme von
Verschwörungstheorien in den letzten Jahren
sieht Mertes vornehmlich in dem weltweiten Vordringen
identitätspolitischer Denkweisen, also in einer
so genannten Tribalisierung der Gesellschaften
und der Politik. Soll heißen: Politik ist immer
weniger die zivilisierte Auseinandersetzung um
konkurrierende Problemlösungen, Werteprioritäten
und Visionen, sondern wird zunehmend ein mehr
oder minder aggressives Gegeneinander von
ethnisch, religiös oder kulturell definierten
Gruppen.
 Fast
scheint es, als ob der „klassische“ Satan der
Kirchen vermisst wird. Verschwörungsglauben war
schon immer ein im Kern religiöses Problem – und
das nicht erst seit Corona. Da stellt sich die
Frage, wie sich das Böse der Religion(en) von
dem der Verschwörungstheorien unterscheidet. Und
– unterscheidet es sich überhaupt? Doch, es gibt
Unterschiede. Allem voran: Ein
Verschwörungsglaube wird nicht hinterfragt und
lässt sich prinzipiell auch nicht widerlegen.
Denn bewusst konstruierte Zirkelschlüsse bilden
den Mechanismus, der Kritik an ihnen abperlen
lässt. Ein Anhänger der QAnon-Sekte wird jede
Kritik geradezu als Bestätigung empfinden, weil
Kritiker in seiner Sicht nur entweder selbst
Teil der Verschwörung oder aber ahnungslose
Opfer verschworener Mächte sein können. Es gibt
keine Logik von richtig und falsch, sondern nur
von Loyalität und Verrat. Ein weiterer
Unterschied, der sich nahtlos daran anschließt,
ist die von Verschwörungsgläubigen gestellte
Frage: Cui bono? Wem nutzt eine Handlung? Ein
klassisches Beispiel dafür lieferten Mitglieder
der russischen Staatsführung kurz nach dem
Giftanschlag auf Alexej Nawalny mit der Aussage,
der Kreml könne gar kein Interesse an einem
solchen Anschlag gehabt haben, weil sein
internationales Ansehen dadurch beschädigt
werde. Bestimmte Kräfte im Westen aber hätten
durchaus ein starkes Interesse daran, Russland
zu desavouieren und das „Nord Stream 2“-Projekt
scheitern zu lassen. Daraus folge, dass es diese
Kreise waren, die den Mord in Auftrag gegeben
haben. Wissenschaftliche bzw. juristisch
belastbare Beweise für all diese aberwitzigen
Theorien konnte bisher noch kein einziger
Verschwörungstheoretiker vorlegen. Doch alle
behaupten felsenfest, im Besitz der Wahrheit zu
sein.
Auch die Kirche glaubt, im Besitz der
Wahrheit zu sein, und kann dafür keine
wissenschaftlichen Beweise vorlegen. Aber: Sie
behauptet das auch nicht (mehr). Die
Gläubigen können aufgeklärt glauben. Das heißt,
sie wissen, dass ihr Vertrauen auf die Aussagen
der Evangelien ein religiöser Akt und keine
wissenschaftlich untermauerte Theorie ist. Oder
anders ausgedrückt: Die einen wissen, dass
sie glauben. Die anderen glauben, dass sie
wissen. Womit letztere mit logischen Argumenten
kaum bis gar nicht mehr zu erreichen sind.
Links zum Thema
https://www.herder.de/stz/hefte/archiv/145-2020/11-2020/verschwoerungsdenken-der-saekularisierte-satan/
https://www.katholisch.de/artikel/27368-verschwoerungsmythen-und-religion-was-sie-verbindet-und-was-sie-trennt
https://www.belltower.news/adrenochrome-q-kindesmissbrauch-corona-und-der-tiefe-staat-98197/
https://www.domradio.de/themen/papst-franziskus/2020-05-13/teil-einer-strategie-mit-verschwoerungstheorien-gegen-den-papst
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