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Kann Gott, den wir als „unseren Vater“ ansprechen, uns in
Versuchung führen? Die französischen Bischöfe sagten: Nein, ein
guter Vater tut so etwas nicht! Und ließen die Gebetsbitte des
Vaterunsers „Und führe uns nicht in Versuchung“ umformulieren in
„Und lass uns nicht in Versuchung geraten“. Papst Franziskus
begrüßte 2017 die Änderung. Und so stellt sich die Frage: Wurde der
Originaltext falsch übersetzt? Oder hat sich gar Jesus, der uns das
Vaterunser selbst gelehrt hat, im Hinblick auf „seinen“ und „unseren
Vater“ geirrt?
Die gute Nachricht vorweg: Der Vaterunser-Text, der uns von den
Evangelisten Matthäus (Mt 6,9-13) und Lukas (Lk 11,1-4) überliefert
wurde, entspricht in seiner deutschen Übersetzung einwandfrei der
altgriechischen Originalversion und wird nicht geändert. So der
Beschluss der Deutschen Bischofskonferenz vom 25. Januar 2018. Und
diese Einschätzung deckt sich mit dem Urteil der allermeisten
Theologen und Bibelforscher.
Warum die ganze Aufregung?
Neu ist die Diskussion nicht gerade. Schon 2015 erwiderte
etwa der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer anlässlich
ähnlicher Änderungsbestrebungen: „Wenn wir anfangen würden zu sagen:
Nein, Jesus, also so kannst du das nicht gesagt haben, … wir
erlauben uns hier, dich zu korrigieren – dann bekommen wir bald eine
ganz neue Bibel nach unseren menschlichen Vorstellungen. Die Bibel
würde aufhören, Zeugnis von Gottes Offenbarung zu sein.“
Dabei geht es nur
vordergründig um die richtige Übersetzung, also um eine
philologische Frage. In Wahrheit ist es ein „Glaubenskrieg“ um einen
exegetischen Aspekt: nämlich um die theologische Definition des
Gottesbildes. Kann Gott, den wir als Inbegriff absoluter,
allumfassender Liebe ansehen (möchten), uns versuchen oder gar Böses
zumuten wollen? Die französischen Bischöfe verneinen dies
mehrheitlich, ebenso der Papst – weil ein guter Vater so etwas nicht
mache. Wirklich nicht?! Was mutete denn „Gott Vater“ seinem Sohn zu?
Und was mutete er etwa seinem treuen Diener Hiob zu? Und das nur, um
einem Widersacher seine Macht und Größe zu demonstrieren – heute
würde man sagen: um einem Konkurrenten zu zeigen, wer im Viertel das
Sagen hat. Zu Recht warnte die Erfurter Theologin Julia Knop davor,
das Vaterunser weichzuspülen, „um Gott vor sich selbst zu schützen".
Und der Theologe Klaus Mertes SJ. argumentiert: "Ein guter Vater
hält Anklagen aus." Darüber hinaus entspreche die bekannte
Übersetzung auch dem Gottesbild des Neuen Testaments. Und, so ist
hinzuzufügen, erst recht dem des Alten Testaments, aus dem heraus
Jesus geprägt war. Dort heißt es etwa bei dem Propheten Jesaja (Jes
45, 6 f.): "Ich, der Herr, und keiner sonst, der ich das Licht bilde
und die Finsternis schaffe, der ich Heil wirke und das Unheil
schaffe, ich bin's, der Herr, der dies alles wirkt.“
Ausgesprochen klar weist die Deutsche Bischofskonferenz denn auch
darauf hin, dass der Wunsch, Gott möge die Menschen vor der
Versuchung bewahren, zwar zum Sinn der Vaterunser-Bitte gehöre.
Diese sei aber so gehalten, dass auch die abgründige Erfahrung, Gott
prüfe einen Menschen über seine Kraft hinaus, angesprochen werde.
„Das Vaterunser beantwortet nicht die Frage der Theodizee: Warum
gibt es Leid, Böses und Versuchung? Warum lässt Gott all dies zu?“
Und genau damit zielen die deutschen Bischöfe auf den eigentlichen
Kern des Problems.

Gott, die Versuchung und das Böse:
Wie kann es sein, dass Gott, den wir sowohl als
allmächtigen „Schöpfer des Himmels und der Erde“, d.h. als Urgrund
allen Seins, als auch als Inbegriff der Liebe schlechthin ansehen
(möchten), das Böse nicht ausmerzt, sondern zulässt? Ja schlimmer
noch, zumindest billigend in Kauf nimmt, dass es uns angreift und
Leid zufügt? Dieses zeitlos virulente Thema beschäftigt seit jeher
namhafte Theologen, unter ihnen Karl Rahner (1904-1984) und Herbert
Vorgrimler (1929-2014). In seinem1999 gehaltenen Vortrag „Erlöse uns
von dem Bösen – Die Aktualität einer Vaterunser-Bitte“ ging Herbert
Vorgrimler eben auf diese Problematik ein. Und er stellte klar, dass
für Juden und für die aus dem Judentum stammenden frühen Christen
eindeutig feststand, dass die Versuchung und das Böse mit dem Willen
Gottes zusammenhängen.
Diese theologische Sicht göttlichen Wirkens, also die Annahme eines
konkreten, situationsbezogenen Eingreifens Gottes in innerweltliche
Angelegenheiten, gehört zwar längst der Vergangenheit an, ist damit
aber nicht „aus der Welt“. „Was negatives Eingreifen angeht“, so
Vorgrimler, „wird nicht mehr im Ernst damit gerechnet, dass Gott
Strafen verhängt und damit Böses zufügt oder Leiden zur Prüfung und
Bewährung der Menschen zuschickt“. Und er zitiert in dem
Zusammenhang den französischen Theologen Jean-Pierre Jossua: "Es
wird unmöglich, ein einzelnes Faktum aus dem Zusammenhang der
Phänomene des Universums mit ihrer messbaren Kausalität
herauszulösen und es auf eine transzendente Ursache zu beziehen. Ob
es Ausdruck des 'Willens' Gottes ist, können wir nicht wissen." Das
aber ist eine klare Absage an die traditionellen Auffassungen von
der Allmacht Gottes und dessen Vorsehung. Doch, so Vorgrimler: „Ist
Gott demnach am konkret anzutreffenden Bösen nicht beteiligt, so ist
er doch dessen transzendenter Grund, nämlich insofern dieser Grund
aller Wirklichkeit die Schöpfung evolutiv in Gang setzte und damit
alles daraus entstehende Übel in Kauf nahm… Dieses In-Kauf-Nehmen
wird von der traditionellen Theologie als ‚Zulassung’ des Bösen, der
Übel und Leiden durch Gott bezeichnet.“ Und er greift Karl Rahners
Frage auf: „Muss man … nicht ein 'Zulassen' von etwas, das man
verhindern könnte … ehrlich ein 'Wollen' nennen?"
Warum (aber)
will dieser Gott überhaupt das Leben, wenn es so ist, wie es ist?,
fragt Vorgrimler folgerichtig – sicher stellvertretend für viele –
und kommt zu dem Schluss: „Gott hat nach den Leidenserfahrungen
gläubiger Menschen offenbar eine lichte und eine dunkle, eine
erbarmende und eine erbarmungslose Seite, und es will keinem Denken
gelingen, die Vereinbarkeit beider zu ergründen.“ Genau das drückt
auch die erstaunliche Klage des leidenden Menschen Hiob aus, der
ruft: „Zu Gott blickt tränend auf mein Auge, dass er Recht schaffe
dem Mann gegen Gott. (Hi 16, 20 f)“. Ein gewaltiger Gedanke, den die
Bibel da dem (ver)zweifelnden, aber zugleich glauben wollenden
Menschen anbietet: „von Gott hinweg zu fliehen hin zu Gott, an den
hellen Gott appellieren gegen den dunklen Gott“. Findet nicht eben
das seinen Ausdruck auch in den beiden Schlussbitten des Vaterunsers?
Wenn aber, siehe oben, ein „interventionistisches“ Handeln Gottes in
der Welt, also ein konkretes Eingreifen in das alltägliche
Geschehen, sich nach heutigem Wissensstand theologisch weder
erkennen noch begründen lässt, wozu dann beten? Vielleicht darum:
Weil Gebete, wie etwa Christoph Böttigheimer meint, vor allem eines
bewirken (können): eine Ausrichtung der Betenden auf Gott hin. Das
heißt nicht, dass ein Gebet die Welt wie durch Zauberhand verwandeln
würde. Jedoch kann es helfen, die Betenden selbst im Sinn des Gebets zu
verändern, so dass diese empfänglich werden für die transzendente
Kraft des Heiligen Geistes und allgemeinen Wandel anstoßen und
herbeiführen können. Und das entspräche ganz dem, was Jesus gelehrt
und gelebt hat. Er hat uns den Weg gezeigt. Und er hat uns die
stärkende göttliche Kraft zugesichert: „Seid gewiss: Ich bin bei
euch alle Tage bis zum Ende der Welt" (Mt 28,18-20). Den Weg gehen
müssen wir aber selber.
Links zum Thema
Deutsche Bischofskonferenz: Stellungnahme der Glaubenskommission
https://tinyurl.com/y9hm3s35
(PDF)
Herbert Vorgrimler: Von der Aktualität einer Vater-Unser-Bitte
https://tinyurl.com/y9xfuyp7
(HTML)
Thomas Söding: Führt Gott in Versuchung?
https://tinyurl.com/yc3ltx5h
Was heißt "Und führe uns nicht in Versuchung?" – Bischof Rudolf
Voderholzer
https://tinyurl.com/y9hk3wcq
Dei Verbum: Vom Glück der Versuchung
https://tinyurl.com/yclmfwgy
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