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Der letzte Schritt -
selbstgewählt
Das Bundesverfassungsgericht
"erlaubt" die asssistierte Selbsttötung
Christa Tamara Kaul - August
2020
Am 26. Februar 2020 hat das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein „ans
Eingemachte“ gehendes Urteil verkündet: Es
erkannte der Selbsttötung eine „grundrechtliche
Qualität“ zu, sprach also jedem Menschen das
Recht auf Suizid zu. Und das mit Unterstützung
durch Dritte und unabhängig von
einem konkreten Leidensdruck. Wie kaum anders zu
erwarten, scheiden sich an diesem Urteil die
Geister.
Um es vorweg zu nehmen: Ich begrüße das Urteil
des BVerfG. Dennoch ist es bei einer so
fundamentalen Entscheidung unerlässlich,
gründlich die riskanten und zu Bedenken Anlass
gebenden Seiten des Richterspruches aufzuzeigen.
Und die werden bereits in der Begründung des
Urteils angeführt und mit Beispielen belegt.
Doch zunächst zum Prinzipiellen. Das Gericht
erkennt ein Grundrecht auf Selbsttötung. Das
leite sich aus der Menschenwürde jeder und jedes
Einzelnen und der daraus erwachsenden
allgemeinen Handlungsfreiheit (Autonomie) ab und
beschränke sich keineswegs auf unerträgliche
Leidenssituationen oder unheilbare Erkrankungen
in der finalen Lebensphase. Die Selbsttötung ist
vielmehr ohne Vorbehalt in das Ermessen jedes
Menschen gestellt. Die in der Menschenwürde
verankerte Autonomie gebiete es, den Menschen
als Subjekt freier Selbstbestimmung zu
respektieren.
Dieser Richterspruch stößt nicht überall auf
Zustimmung. Die beiden großen Kirchen in
Deutschland lehnen ihn ab. Das Leben sei dem
Menschen von Gott geschenkt, ist eine unter
Gläubigen mehrerer Religionen, vor allem aber
bei Christen weit verbreitete Formel. Man dürfe
es nicht eigenmächtig „wegwerfen“. Da stellt
sich die Frage, wie kann jemandem, der gar nicht
existiert, etwas geschenkt werden? In dem Moment
aber, wo jemand existiert, also lebt, benötigt
er das Leben nicht mehr als Geschenk. Wie auch
immer: Auf dieses theologische Kuriosum gehen
die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und der Rat
der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in
der gemeinsamen ablehnenden Stellungnahme zum
Suizidurteil (Gott sei Dank) denn auch nicht
weiter ein. Sie weisen viel mehr auf die
konkreten Gefahren und die dadurch dem Urteil
innewohnende Problematik hin.
"Dieses Urteil stellt einen Einschnitt in unsere
auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar. Wir befürchten, dass
die Zulassung organisierter Angebote der
Selbsttötung alte oder kranke Menschen auf
subtile Weise unter Druck setzen kann, von
derartigen Angeboten Gebrauch zu machen", so DBK
und EKD. „An der Weise des Umgangs mit Krankheit
und Tod entscheiden sich grundlegende Fragen
unseres Menschseins und des ethischen Fundaments
unserer Gesellschaft. Die Würde und der Wert
eines Menschen dürfen sich nicht nach seiner
Leistungsfähigkeit, seinem Nutzen für andere,
seiner Gesundheit oder seinem Alter bemessen.“
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Abb.: Pfarrbriefservice / Peter Weidemann
Damit ist das Gefahrenpotential
unmissverständlich benannt. Es ist eine
Tatsache, dass die Todesfälle infolge
professioneller Suizidassistenz oder ärztlich
durchgeführter Tötung auf Verlangen überall
dort, wo solche Maßnahmen straffrei möglich
sind, erkennbar zugenommen haben. Was allein
aber noch nicht viel sagt. Die Zunahme kann
durchaus dadurch gegeben sein, dass
Suizidwillige, die bisher keine legale
Möglichkeit zu ihrer Tat sahen, diese nun per
Gesetz gegebene „Chance“ zur Beendigung ihres
Lebens sofort ergriffen haben. Ausschlaggebend
ist vielmehr und grundsätzlich, unter welchen
Umständen ein Suizid erfolgt, ob als wirklich
freie Willensentscheidung oder unter wie auch
immer geartetem Erwartungsdruck. Und: Den
letzten Schritt in den Tod müssen Sterbewillige
auch nach diesem Urteil immer noch selbst gehen.
Andere dürfen nur die entsprechenden Mittel zur
Verfügung stellen. Aktive Sterbehilfe – etwa das
Setzen einer tödlichen Spritze – bleibt in
Deutschland weiterhin verboten und kann als
"Tötung auf Verlangen" bestraft werden.
Entscheidend für eine menschenwürdige Praxis ist
die Umsetzung des Richterspruches in geltendes
Recht. Wenn die vom Grundgesetz garantierte
Freiheit des Menschen nach Ansicht des BVerfG
tatsächlich so weit geht, dass sich jede und
jeder als Subjekt der Freiheit auch ohne (für
andere erkennbare) Not selbst vernichten kann,
dann bedarf es dringend entsprechender Gesetze
und Regelungen, die einem Missbrauch
entgegenwirken – auch und gerade angesichts des
steigenden Kostendrucks in den Pflege- und
Gesundheitssystemen.
Das allerdings haben die Richter in dem Urteil
berücksichtigt und selbst angesprochen, indem
sie deutlich Missbrauchsmöglichkeiten benennen
und mit aktuellen Beispielen, u.a. aus den
Niederlanden und den USA, belegen. So werden in
den Niederlanden inzwischen Suizidassistenz und
aktive Sterbehilfe in Alters- und Pflegeheimen
offen angeboten. Was manche Bewohner dieser
Heime veranlasst hat, in deutsche Einrichtungen
zu wechseln, um dem mit den Angeboten
einhergehenden Erwartungsdruck zu entkommen.
Noch krasser zeigen sich
ökonomisch-utilitaristische Motive (so Prof.
Heiner Bielefeldt) im US-Staat Oregon. Nach den
im Urteil angeführten Expertenberichten, „greife
bereits ein Wirtschaftlichkeitsgebot, das bei
terminalen Erkrankungen die Kostenübernahme für
bestimmte medizinische Therapien ausschließe,
demgegenüber aber die Erstattung der Ausgaben
für einen assistierten Suizid vorsehe.“
Das Bundesverfassungsgericht sieht also die mit
dem Grundrecht auf Selbsttötung verbundene
Problematik. Und es sieht daher den Staat in der
Pflicht, Menschen vor sozialem Druck, aber auch
vor eigenen Kurzschlusshandlungen angemessen zu
schützen. Es machte auch konkrete Vorschläge,
wie solch eine Regelung aussehen könnte. So sind
Sicherungsmechanismen wie Aufklärungs- oder
Wartepflichten denkbar und auch bestimmte
Anforderungen an Anbieter. Bereits in der
mündlichen Verhandlung im Frühjahr 2019 war eine
Beratungslösung ähnlich der zum
Schwangerschaftsabbruch vorgeschlagen worden:
Ehe eine Frau eine Schwangerschaft bei einem
Arzt abbrechen darf, muss sie sich umfassend von
speziellen Beratungsstellen aufklären lassen.
Dies ist als Vorbild denkbar.
Es ist nun Sache des Gesetzgebers, also des
Bundestages, und der Regierung, entsprechende
alltagstaugliche Gesetzesentwürfe vorzulegen und
zur Abstimmung zu bringen. Das allerdings wird –
und muss – aufgrund der fundamentalen Bedeutung
und der daher notwendigen Debatten dauern. Vor
besondere Herausforderungen ist der Gesetzgeber
dabei deshalb gestellt, weil mit dem aktuellen
Urteil das Verbot einer geschäftsmäßigen
Suizidassistenz aufgehoben ist. Was
Präventionsmaßnahmen erschwert. Es ist daher
unser aller Pflicht, ganz sicher aber die der
Kirchen, den Gesetzgebungsprozeß aufmerksam zu
begleiten.
Weiterführende Links
Urteil des Bundesverfassungsrerichts
https://www.bundesverfassungsgericht.de/e/rs20200226_2bvr234715.html
Stellungnahme von DBK und EKD
https://www.ekd.de/gemeinsame-erklaerung-dbk-und-ekd-zum-urteil-selbsttotung-53539.htm
Stimmen der Zeit 145 (Heft 8/2020) 563-572
https://www.herder.de/stz/hefte/archiv/145-2020/8-2020/entleerung-des-autonomieprinzips-zum-urteil-des-bundesverfassungsgerichts-ueber-suizidassistenz/
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