
Happy Lehrer Slapping – Kartell des Schweigens
Wenn Eltern am Feindbild Lehrer
basteln
Christa
Tamara
Kaul
- Erschienen
am
21.02.2007 bei
Telepolis >>>
Terror an
Schulen? Nichts wirklich Neues. Rütli, Unterschicht und ethnische Gewalt
tauchen sofort als Assoziationen auf. Doch jenseits dieser bekannten
Manifestationen diverser Bildungs- und Gesellschaftsprobleme hat sich – (nicht nur) nach Ansicht des Philologen-Verbandes NRW – eine ganz
andere, sehr bürgerliche Form der Randale etabliert, die von fast allen
Beteiligten klein geschwiegen wird: eine Art Elternterror.
Ein Gymnasium im Münsterland, es ist Turnstunde. Zum wiederholten Mal
ist eine Schülerin ohne Turnzeug zum Unterricht erschienen, möchte aber
dennoch unbedingt mitturnen. Trotz der Einwände des Lehrers besteht sie
darauf, in der Kleidung, die sie gerade trägt, Jeans und T-Shirt,
mitzumachen. An diesem Tag wird unter anderem der Handstand geübt. Dabei
kommt es, wie es gemäß den physikalischen Kräften nahezu unausweichlich
kommen muss: T-Shirt und Unterhemd rutschen, während das Mädchen auf den
Händen steht, nach unten, also vom Körper weg, und legen den gesamten
Oberkörper frei. Am nächsten Tag werfen die Eltern dem Lehrer
unsittliches Verhalten vor und beschweren sich zunächst bei der
Schulleitung und anschließend bei der Bezirksregierung. Es folgt ein
Disziplinarverfahren. Dieses entlastet den Lehrer dann allerdings
vollkommen. Denn es sind genügend Schüler bereit zu bezeugen, dass er in
der fraglichen Unterrichtsstunde das Mädchen ausdrücklich dazu
aufgefordert hat, wegen der unpassenden Kleidung nicht mitzuturnen.
Noch einmal Glück gehabt, könnte man sagen. Das zehrte zwar an des
Lehrers Nerven und kostete ihn Zeit, die er anderweitig sinnvoller hätte
verwenden können, beschädigte aber nicht ungerechtfertigt seine
Integrität. Einer von vielen Fällen, mit denen sich Peter Paul Cieslik,
Justitiar des
Philologen-Verbandes Nordrhein-Westfalen,
in der letzten Zeit befassen musste. Doch nicht immer geht es ähnlich
glimpflich aus.

Ehrenschutz für alle – nur nicht für Lehrer? So titelte Cieslik
angesichts derartiger Vorkommnisse kürzlich denn auch einen Beitrag in
der Zeitschrift des Philologen-Verbandes. In dem gab er Mitgliedern
Informationen zum Thema Rechtsschutz und forderte sie auf, sich endlich
mehr und deutlicher zu wehren. Denn die Beleidigungen und Verleumdungen
von Lehrkräften durch Schülerinnen und Schüler und ganz besonders durch
Eltern hätten inzwischen ein bisher nicht gekanntes Ausmaß erreicht und
machten nicht nur vielen Lehrern das Leben schwer, sondern führten auch
immer öfter zu deutlichen Störungen des Unterrichts oder sogar des
gesamten Schulbetriebes. „Bei manchen Eltern gewinnt man den Eindruck,
dass sie ihren vorrangigen Lebensinhalt darin sehen, Beschwerden über
Lehrer, Schulleiter und Schulbehörden einzureichen.“
Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt
So richtig geliebt wurden sie ja wohl noch nie – oder doch nur selten,
die Lehrerinnen und Lehrer. Aber über Jahrhunderte wenigstens hoch
geachtet. Damit ist es allerdings längst vorbei. An herabsetzenden
Klischees und teilweise horrenden Vorwürfen mangelt es heutzutage
wirklich nicht. Es ist wohlfeil, sie pauschal als resignierte
Dauerkranke oder kaltschnäuzige Zyniker zu bezeichnen, als intellektuell
zu abgehoben oder pädagogisch unzureichend ausgebildet oder ganz simpel
als satte, faule Beamte, die sich keiner Leistungskontrolle stellen
müssen. Mit solch schlicht strukturiertem Stammtisch-Mix und
entsprechenden Pamphletchen lässt sich sogar ganz unverzagt etwas Geld
verdienen – ohne Evidenz, aber von hohem Unerhaltungswert und daher
populär.
Doch auch wenn diese Art der Anti-Lehrer-Hatz zwar öffentliche
Aufmerksamkeit erfährt und etlichen Schülern wie Eltern sowohl als
Ansporn als auch Rechtfertigung eigener Aktionen dient, so ist sie
trotzdem die eher zahnlose Variante der Diskriminierungswutwelle. Denn
deren weitgehend verdeckter, aber dramatischerer Teil, so Peter Paul
Cieslik, lebt sich im alltäglichen Mobbing, Rufmord und juristischen
Gerangel aus. Um Forderungen und Ansprüche in jedem Fall durchzusetzen,
scheuen sich viele Schülerinnen und Schüler ebenso wenig wie deren
Eltern, Lehrerinnen und Lehrer zu beleidigen, zu verleumden und zu
verklagen, was das Zeug hält. Wobei diese Form der Randale, im
Unterschied zu den gewalttätigen Aktionen à la Berlin-Neukölln,
überwiegend an Gymnasien, Real- und Gesamtschulen anzutreffen ist.

Etwa so wie an einem Gymnasium einer Kleinstadt des Ruhrgebietes. Dort
liegen Eltern seit einiger Zeit mit einem Lehrer im Streit wegen der
angeblich ungerechten Leistungsbewertung ihres Sprösslings. Es werden
diverse schulinterne Überprüfungen veranlasst, die aber nichts anderes
erbringen, als die tatsächlich unrühmlichen Leistungen des Kindes zu
bestätigen. Sehr zum Ärger der Eltern. Nicht lange nachdem ihr Protest
nicht zum gewünschten Erfolg geführt hat, beschuldigen sie denselben
Lehrer, das zweite Kind der Familie, das er in einer anderen Klasse
ebenfalls unterrichtet, „geschubst“ zu haben, absichtlich. Tatmotiv sei
Rache gewesen. Auch wenn dem Kind absolut nichts passiert ist, erfolgte
eine Anzeige wegen Körperverletzung. Derzeit ermittelt die
Staatsanwaltschaft, ob überhaupt geschubst wurde und, wenn ja, ob
absichtlich und von wem.
Erfolg auf Biegen und Brechen – notfalls auch ohne Leistung
Woher kommt diese anscheinend schrankenlose Kritiksucht, die Lust am
Lehrer-Bashing? „Die Schule ist der erste Verteilungsmechanismus der
beruflichen Karriereleiter“, meint Cieslik. „Wer mit schlechten
Abschlüssen ins Berufsleben startet, wird zum Verlierer. Denn, das ist
ja mittlerweile Binsenweisheit, aufgrund der weltweiten
volkswirtschaftlichen Veränderungen herrscht inzwischen ein so immenser
Konkurrenzdruck, dass ohne entsprechenden Leistungsnachweis keine
vernünftige Berufsbiographie mehr zu erreichen ist. Und wo schlechte
Leistungsergebnisse die Zukunftserwartungen der Kinder zu beeinträchtigen
drohen, versuchen immer mehr Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, sagen wir
mal, zu beeinflussen.“ Auf Biegen und Brechen.
Dabei geht es nicht darum, dass Eltern sich als Anwälte ihrer Kinder
sehen und auch im schulischen Bereich für deren Belange stark machen. Im
Gegenteil, das ist nicht nur völlig legitim, unbestritten und
selbstverständlich, sondern sogar unbedingt wünschenswert und
erforderlich. Problematisch wird es allerdings dann, wenn Vater und
Mutter alle Schwierigkeiten und Leistungsmängel, die ihrer Sprösslinge
ebenso wie häufig die eigene Überforderung, „der Schule“ und „den
Lehrern“ anlasten. „Wenn man es denn wenigsten dabei beließe zu sagen,
du hast nicht richtig korrigiert, wäre es ja noch in Ordnung. Aber immer
öfter heißt es dann, der packt kleine Kinder an, oder die fährt besoffen
Auto, oder der treibt sich sonst wo rum. Es werden ganz private Dinge
aus dem Umfeld der Lehrkraft herangezogen oder sogar konstruiert, um zu
begründen, warum die Note der Mathe- oder Lateinklausur nicht in Ordnung
sein kann."
Dass zwischen den wirtschaftlichen Verhältnissen und den zunehmenden
ehrrührigen Angriffen auf Lehrer ein direkter Zusammenhang besteht, ist
für Cieslik keine Frage. „Ich arbeite nun seit über zwanzig Jahren als
Justitiar des Philologenverbandes. In dieser Zeit haben die Fälle, in
denen ich Lehrkräfte, die auf die verschiedenste Weise angegangen und
beschuldigt werden, berate bzw. vertrete, kontinuierlich zugenommen.
Aber der ganz deutliche, steile Zuwachs dieser Fälle erfolgte etwa seit
dem Jahr 2000, als sich die Arbeitsmarktlage rapide verschlechterte.“
Auf ungefähr 1.000 Prozent schätzt er den Zuwachs seit der
Jahrhundertwende, etwa ein Dutzend Anfragen, die sich im weitesten Sinne
auf Gewalt gegen Lehrkräfte beziehen, erreichen ihn mittlerweile täglich.
Gefördert wird dieses Verhalten ganz sicher durch den Umstand, dass in
den meisten Familien gerade der Mittelschicht nur noch ein oder zwei
Kinder aufgezogen werden. Das setzt einerseits dementsprechend viel Zeit
für die intensive Hege frei, andererseits aber ruht auch die ganze Last
der elterlichen Karriereerwartungen auf diesen ein oder zwei Nachkommen,
die nun alles allein zur Selbstbestätigung der Eltern erbringen müssen.
So wird von Vätern berichtet, die nach jeder ausgefallenen
Unterrichtsstunde beim Schulleiter persönlich anrufen. Kontraproduktiv
empfindet Cieslik die öffentliche Aufforderung von NRW-Schulministerin
Barbara Sommer, jeden Fall, in dem Unterricht aufgrund des Fehlens einer
Lehrkraft ausfällt, an das Ministerium zu melden. Das unterstelle doch
automatisch, dass Lehrer ungerechtfertigt krank feierten und fördere
geradezu das Denunziantentum.
Happy-Lehrer-Slapping

Und ein ganz anderer, nämlich der technologische bzw. mediale Faktor
spielt inzwischen eine nicht mehr wegzudenkende Rolle. Internet und
Photohandy haben sich anderweitig längst als probate Mittel für alles
Mögliche und eben auch zur Diffamierung und Terrorisierung von Personen
erwiesen. Sie bedienen auch die Lust am Lehrer-Bashing. „Es ist eine Art
des ,Happy Slappings’, man könnte es Happy Lehrer Slapping nennen“,
meint Cieslik. Lehrer und ganz besonders Lehrerinnen werden in möglichst
unvorteilhaften Situationen und Positionen per Handy photographiert oder
gefilmt. Oft werden die Aufnahmen anschließend im Internet
veröffentlicht oder per Mobiltelefon weiter verbreitet. Wie etwa bei
einem anderen Fall, bei dem im Internet die vollständige Adresse einer
Lehrerin veröffentlicht und zu deren Massenvergewaltigung aufgerufen
wurde. „Das kann aus reiner Lust am Happy Lehrer Slapping geschehen,
immer öfter wird es aber auch als Druckmittel zur ,Beeinflussung’ von
Leistungsbewertungen benutzt. Nicht selten sogar von Eltern initiiert
und instrumentalisiert. Und oft geht das eine nahtlos in das andere
über.“
Wie selbstverständlich ein solcher Handy-Einsatz inzwischen an Schulen
ist, zeigen zahlreiche Beiträge in Internetforen. Etwa dort, wo sich
jemand über das Verhalten eines Lehrers beschwert und die umgehende
Antwort
erhält: „Auf ein Handy aufnehmen und an das Landesministerium für
Bildungswesen schicken. Ist ein klarer Fall und wird schnell geklärt
sein.“
Keine Frage, das sei ausdrücklich betont: Es gibt sie, neben den vielen
äußerst fähigen und engagierten gibt es auch Lehrer und Lehrerinnen mit
pädagogischen Defiziten, selbst bei den in den PISA-Studien hoch
gelobten Gymnasiallehrern, denn es gab und gibt immer noch
Schwachstellen in der Ausbildung. Hauptproblem war bisher die zu spät
angesetzte Praxiserprobung, die Auskunft über die jeweils persönliche
Eignung gibt. Kaum jemand an den weiterführenden Schulen fehlt es an
Fachwissen, denn die hohen, anspruchsvollen Prüfkriterien des 1.
Staatsexamens für das rund fünfjährige Hauptstudium garantieren eine
hohe fachliche und intellektuelle Qualifikation. Im Gegensatz zum 1.
Staatsexamen stellte dagegen der Abschluss des zweijährigen
Referendariats durch das 2. Staatexamen bisher nicht immer das
angestrebte Ziel, nämlich die
pädagogische Eignung sicher. Es kam durchaus vor, dass man auch solche,
die sich von der Persönlichkeitsstruktur her nicht als unbedingt
prädestiniert für diesen Beruf erwiesen, nach insgesamt sieben bis acht
Jahren Studium und Ausbildung nicht durch Verwehrung des Abschlusses ins
berufliche Nirwana oder gar eine Lebenskatastrophe stürzen wollte. Dazu
muss man sicher noch einige pädagogisch minderbemittelte
Seiteneinsteiger (Nicht alle Seiteneinsteiger sind ungeeignet!) rechnen, die in den 1970er Jahren, also der Zeit der
etwas verquasten Bildungsexpansion, im Lehramt gelandet sind.
Dieses Dilemma dürfte erfreulicherweise bald Vergangenheit sein, denn es
ist abzusehen, dass frühzeitige Eignungstests bundesweit zur Pflicht für
Lehramtstudenten werden, wie es Ute Erdsiek-Rave, Präsidentin der
Kultusministerkonferenz Ende Dezember 2006 ankündigte. In
Nordrhein-Westfalen müssen sich Lehramtskandidaten bereits seit einigen
Jahren schon zu Beginn des Fachstudiums Schulpraktika unterziehen, um zu
testen, ob der Schulalltag sowohl ihren Wunschberufsvorstellungen als
auch ihrem individuellen Vermögen entspricht.
Dass die meisten Lehrkräfte jedoch, allen voran die Gymnasiallehrerinnen
und -lehrer über hohe fachliche Qualifikation und pädagogische Kompetenz
verfügen, bestätigte ihnen sogar die viel zitierte PISA-Studie. Die
Gymnasiallehrer, so resümierte Prof. Jürgen Baumert, Leiter des Berliner
Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und deutscher
PISA-Studienleiter, spielten mit ihrem Wissen in einer völlig anderen
Liga als die Kollegen der anderen Schulzweige.
Feinbild Lehrer
Doch die hoch geschürte Lehrerhassermentalität richtet sich ja
keineswegs nur gegen die Minderheit der pädagogischen Fehlbesetzungen,
sondern bricht zunehmend über alle herein, die nicht so agieren, wie
viele Kinder und Eltern sich das vorstellen, was meistens heißt, über
die Lehrkräfte, die Leistungs- und Verhaltensdefizite nicht mit
ungerechtfertigt guten Noten und falsch verstandener Toleranz
kaschieren.
Vorhaltungen von Lehrern über schlechtes Benehmen oder zu wenig
Leistungsbereitschaft von Schülern werden überwiegend damit gekontert,
dass sie die Gründe für Verfehlungen nicht bei sich oder ihren
Sprösslingen suchen, sondern „die Lehrer“ für alle Unzulänglichkeiten
dieser Welt verantwortlich machen. Die erweisen sich in ihren Augen als
unfähig, das Kind entsprechend zu motivieren. „Eltern sind immer
häufiger mit der Erziehung einfach überfordert“, so Cieslik.
Eine keineswegs neue oder singuläre Erkenntnis, längst haben andere wie
etwa vor zwei Jahren der Philosoph Peter Sloterdijk oder kürzlich
Bernhard Bueb, der ehemalige Leiter der Schloß-Salem-Schulen, einen
allgemein verbreiteten Mangel an Bildung und vor allem Erziehung
beklagt. So meinte Sloterdijk: „Wir haben eine Nation von tendenziell
kinderlosen Urlaubern hervorgerufen, die nicht über sich selber hinaus
denken können und wollen.“ Und Bueb zieht bedauernd das Fazit: „Die
Kunst der Erziehung haben wir verlernt. Es gibt keinen Konsens mehr
darüber, wie man Kinder und Jugendliche erzieht, mit der fatalen Folge,
dass viele Eltern verunsichert sind. An dieser Unsicherheit leiden
Kinder, Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen.“ Allerdings liegt es
eindeutig bei den Erwachsenen, diese verhängnisvolle Tendenz zu wenden.
Bezeichnenderweise ist die Einstellung, andere für alle
Unzulänglichkeiten einschließlich des eigenen Versagens verantwortlich
zu machen, mittlerweile so verankert und verbreitet, dass sie längst
außerhalb der Schule etabliert ist. Wie beispielsweise die Klage von
Eltern eines dreizehnjährigen Mädchens im Saarland offenbarte. Weil ihre
Tochter beim Herabrutschen eines Treppengeländers gestürzt war und sich
dabei erheblich verletzt hatte, verklagten sie den Vermieter auf Zahlung
von Schmerzengeld, denn er hätte Maßnahmen gegen das
Treppengeländerrutschen treffen müssen. Das sahen die Richter des
Saarländischen Oberlandesgerichtes (Az.: 4 U 126 / 06-36) allerdings
anders, nämlich die Eltern in der Pflicht.
Kartell des Schweigens
Während vordem unzufriedene Eltern meistens selbst Einspruch einlegten,
wird jetzt zunehmend schon mal mit kommunal- oder landespolitischen
Beziehungen gewinkt oder gleich ein Anwalt eingeschaltet. Was angesichts
des hohen Anteils an Rechtsschutzversicherungen keine finanzielle
Verausgabung mehr bedeutet. Die westlichen Stadtteile Kölns sowie die
unmittelbar anschließenden Nachbarkommunen des Rhein-Erft-Kreises zählen
ebenso wenig zu den sozialen Brennpunkten wie der östlich von Köln
gelegene Rheinisch-Bergische Kreis. Grünes Speckgürtelgebiet. Dort gibt
es ganze Straßenzüge, wo in jedem Haushalt mindestens eine
Rechtsschutzversicherung vorhanden ist. Es sei denn, man oder frau ist
ohnehin selbst Jurist, was hier gehäuft vorkommt.
Wie etwa Rechtsanwalt O.. Dessen zwölfjähriger Sohn besucht ein
Gymnasium dieses Speckgürtelgebiets. Leider „vergisst“ der Junge
ziemlich regelmäßig, die Hausaufgaben zu machen. Das brachte ihm etliche
mündliche Ermahnungen der Klassenlehrerin, dann eine Mitteilung an die
Eltern, und als auch das nur kurzfristig half und er dann auch noch beim
Abschreiben während einer Klassenarbeit erwischt wurde, schließlich eine
Sechs in der Arbeit und einen Verweis ein. Gegen beides ging der Vater
so lange an und drohte mit gerichtlicher Klage, bei der er aufgrund des
privaten Umfeldes der Lehrerin auch deren grundsätzliche Eignung in
Frage stellen werde, bis schließlich die Lehrerin entnervt einknickte
und anbot, dass der Junge die Arbeit – selbstverständlich mit anderen
Aufgaben – nachschreiben dürfe. Was ihm dann statt der Sechs immerhin
eine Vier minus bescherte. Das alles nicht, weil die Lehrerin ihr
Verhalten im Nachhinein als ungerechtfertigt gesehen hätte, sondern weil
sie von der Schulleitung keine Unterstützung erfuhr.
Kein Einzelfall, was die ausbleibende Unterstützung angeht. Denn wer da
erwartet oder wünscht, dass beschuldigte Lehrkräfte zunächst einmal den
Beistand und die Unterstützung der jeweiligen Schulleitung bzw.
Schulbehörde erfahren würden, bewegt sich auf schwankendem Boden. Denn
genau daran fehlt es allzu oft. Mit Auskünften zu diesem Thema tun sich
die Schulbehörden allerdings schwer. Auf entsprechende Anfragen kommen
Antworten wie die der Bezirksregierung Münster, in der es heißt, dass
„es immer wieder Differenzen in der Leistungseinschätzung zwischen
Lehrkräften und Eltern oder auch Schülern“ gäbe, „jedoch werden diese
stets entweder in Gesprächen der Beteiligten, zum Teil unter Mitwirkung
der Schulleitung, oder, wenn dies nicht weiterführt, im förmlichen
Beschwerde- oder Widerspruchsverfahren geregelt oder entschieden“.
Leider werden diesbezügliche Zahlen „statistisch in unserem Hause nicht
erhoben“. Allzu oft wird aber nicht nur nach außen, sondern auch intern
versucht abzuwiegeln, zu vertuschen, die Konflikte mit Schülern und
Eltern unter Verschluss zu halten, um nicht die Reputation der Schule
oder der Schulbehörde zu beschädigen, wie der nordrhein-westfälische
Philologen-Verband immer wieder feststellt. Was aber nicht nur für
Nordrhein-Westfalen gilt.
Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt
Ähnliches gilt auch anderswo, beispielsweise in Hamburg, wie Christine
Greiner, Lehrerin an der Gesamtschule Finkenwerder erfahren musste. Sie
war vom Vater eines Schülers im Schulgebäude beschimpft, bedroht und
verprügelt worden, weil sie den Jungen wegen mehrfachen unbotmäßigen
Verhaltens vorübergehend vom Unterricht ausgeschlossen hatte. Allerdings
gehörte sie zu den verhältnismäßig wenigen Nervenstarken und
Unbeugsamen, die sich trauten, eine solche Sache öffentlich zu machen,
sich zu wehren und ihrerseits die Eltern zu verklagen, auch wenn die
Schulbehörde nicht als Nebenkläger auftrat und es ihr zeitweilig sogar
untersagte, sich gegenüber der Presse zu äußern. Sie schätze, erklärte
Greiner, dass sich tätliche Übergriffe auf Hamburger Lehrerinnen und
Lehrer mehrmals pro Jahr ereigneten, und warf Schulleitungen und
Behörden vor, zum Teil massiv auf die Lehrkräfte einzuwirken, um zu
verhindern, dass diese Fälle öffentlich gemacht oder angezeigt werden:
"Den Opfern wird suggeriert, dass sie selbst Schuld an dem Vorfall
tragen."
Genau diese Vorgehensweise bestätigt und kritisiert auch der Justitiar
des nordrhein-westfälischen Philologenverbandes. „Da Straf- und
Zivilrecht bei entsprechend erfolgreicher Anwendung zu erheblichen
Konsequenzen im persönlichen Bereich der Schülerinnen und Schüler
führen, scheuen Schulaufsicht, Schulleitung, aber auch so genannte
wohlmeinende Pädagogen davor zurück, diesen Weg selbst zu gehen bzw.
Kolleginnen und Kollegen darin zu unterstützen, auch auf gerichtlichem
Wege ihr Recht zu suchen.“ In trauter Einigkeit fürchteten
Schulleitungen und Schulaufsichtsbehörden, dass, wenn Problemfälle
öffentlich werden, sie selbst der Unfähigkeit bezichtigt werden könnten.
Also schieben sie die Verantwortung den Lehrerinnen und Lehrer zu. „Es
herrscht ein Kartell des Schweigens“, so Peter Paul Cieslik. Hier müsse
das alte 68er Sprichwort gelten: „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.“
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