Für das Christentum ist der Glaube an Gott als Urgrund allen Seins
elementar. Dennoch sieht sich die katholische Kirche keineswegs im
Widerspruch zur naturwissenschaftlichen Evolutionstheorie. Das zeigte
sich erst kürzlich wieder bei dem Kolloquium "Schöpfung und Evolution“,
zu dem Papst Benedikt XVI. nach Castel Gandolfo geladen hatte. Und auch
bei seinem Deutschlandbesuch ging er auf dieses Thema ein, vor allem in
seinem
Vortrag am 12. September 2006 an der Universität Regensburg.
"Der Glaube ist einfach. Wir glauben an Gott – an Gott, den Ursprung und
das Ziel menschlichen Lebens“, erklärte der Papst am 12. September 2006
in seiner
Predigt
in Regensburg, um dann fortzufahren: „Kann man das heute noch? Ist das
vernünftig? Seit der Aufklärung arbeitet wenigstens ein Teil der
Wissenschaft emsig daran, eine Welterklärung zu finden, in der Gott
überflüssig wird. … Aber sooft man auch meinen konnte, man sei nahe
daran, es geschafft zu haben – immer wieder zeigt sich: Das geht nicht
auf. … Letztlich kommt es auf die Alternative hinaus: Was steht am
Anfang: die schöpferische Vernunft, der Schöpfergeist, der alles wirkt
und sich entfalten lässt, oder das Unvernünftige, das vernunftlos
sonderbarerweise einen mathematisch geordneten Kosmos hervorbringt und
auch den Menschen, seine Vernunft. Aber die wäre dann nur ein Zufall der
Evolution und im letzten also doch auch etwas Unvernünftiges.“
Damit ist klar: Für das Christentum im Allgemeinen und für die
katholische Kirche im Besonderen gibt es keinen Zweifel an der
göttlichen Schöpferrolle. Das heißt aber nicht im Mindesten, dass der
Papst und die katholische Kirche die Evolution anzweifeln und den Kreationismus, der derzeit besonders in etlichen protestantischen
Kirchen der USA Urständ feiert und die Evolutionstheorie aus dem
Schulunterricht verbannen will, befürworten würden. Ein für viele nicht
ganz leicht nachzuvollziehender Standpunkt, der immer wieder zu
Missverständnissen führt.
Aus diesem Grund drängte Benedikt XVI. immer wieder zur Klärung dieses
Sachverhaltes, d.h. auf die klare Positionierung der katholischen Kirche
in der Auseinandersetzung zwischen Darwinisten und Kreationisten,
zwischen „logischer“ Evolution, Zufallsselektion und „Intelligent
Design“. Wie sehr, das hat sich nicht zuletzt dadurch gezeigt, dass er
für das alljährlich Anfang September in Castel Gandolfo stattfindende
Kolloquium mit seinen ehemaligen Doktoranden in diesem Jahr das Thema
"Schöpfung und Evolution“ gewählt hat.
Doch die Klärungsbestrebungen laufen insgesamt schon viel länger.
Bereits 1996 gestand Papst Johannes Paul II., nicht zuletzt unter dem
Einfluss des damaligen Kardinals Joseph Ratzinger, in einer Rede vor der
Päpstlichen Akademie der Wissenschaften,
einem der exklusivsten internationalen Gelehrtenclubs der Welt, der
Evolutionstheorie zu, "mehr als nur eine Hypothese“ zu sein. Öffentlich
wahrgenommen wurde der kirchliche Standpunkt allerdings erst deutlich
später, vor allem durch einen Artikel des Wiener Kardinals Christoph
Schönborn in der „New York Times" vom 7. Juli 2005. Und kaum zufällig
veröffentlichten am 16. Januar 2006 der „L’Osservatore Romano”, das
offizielle Medium des Vatikans, einen Beitrag von Fiorenzo Facchini,
einem Geistlichen und Anthropologen der Universität von Bologna, sowie
im August 2006 die Zeitschrift „La Civiltà Cattolica” einen zehnseitigen
Artikel des Jesuiten Giuseppe De Rosa, Texte, in denen die jeweiligen
Autoren in aller Ausführlichkeit auf die Evolution, von Lamarck bis
Darwin, eingehen.
Daraus ergibt sich eindeutig, dass die Kirche die Deszendenztheorie, die
die verschiedenen Formen des Lebendigen als aus vorangegangenen Formen
des Lebendigen hervorgegangen versteht und damit auch die Abkunft des
Menschen aus vormenschlichen Lebensformen belegt, seit langem als
evident anerkennt. Dass gleichzeitig die göttliche Urheberschaft allen
Seins als gegeben angesehen wird, ist dabei nur ein scheinbarer
Widerspruch, der sich auflöst, wenn man einerseits die Schöpfung als
einen kontinuierlichen Prozess und andererseits den Schöpfergott als
ursächliche Transzendenz ansieht, als immanente Wirkursache der
Evolution, die auch Folge-Ursachen schafft, die die universale
Entwicklung bewegen. Das umfasst ebenso Aspekte der Mutation (spontane
Veränderung von Arten, also des Erbgutes) wie auch der natürlichen
Auslese von Individuen und Arten.
„Gott ist Vernunft“
Der Kern dieser ausführlichen Darlegungen lässt sich in dem
zusammenfassen, was Joseph Ratzinger schon im Jahr 2000 gesagt und nun
wiederholt und weiter ausgeführt hat, nämlich „dass die Welt in einem
sehr komplizierten Evolutionsprozess entstanden ist, dass sie aber im
tiefsten eben doch aus dem Logos entstanden ist. Sie trägt insofern
Vernunft in sich." Dieser Logos ist, gemäß dem Beginn des
Johannes-Evangeliums, Gott: „Am Anfang was das Wort (=logos, was sowohl
Vernunft als auch Wort bedeutet), und das Wort war bei Gott, und Gott
war das Wort.“ Genau diese Essenz nahm Benedikt XVI. in seiner
Regensburger Vorlesung auf und erläuterte bzw. konkretisierte sie, indem
er betonte: „Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider.“
Mit diesem neutestamentarischen Gottesverständnis kann sowohl eine
Synthese mit der philosophischen Aufklärung als auch mit den modernen
Naturwissenschaften erreicht werden, allerdings unter der wesentlichen
Maßgabe, dass die naturwissenschaftlichen Erklärungen bzw. Modelle
lediglich die wirkursächlichen Zusammenhänge beschreiben können und
deshalb bei ihrer Erklärung der Evolution weder etwas über die letzte
Seinsursache noch über ein Ziel aussagen können.
Damit bezieht die katholische Kirche eine klare Gegenposition zu den
Kreationisten, die auf dem wortgenau geschichtlichen Verständnis des
biblischen Schöpfungsberichts bestehen. Die Kirche setzt sich damit aber
gleichzeitig auch von dem derzeit vielerorts gängigen Naturalismus, von
einer dem reinen „Stoffwechselverständnis“ verschriebenen und auf die
Erklärung der innerweltlichen Ursachen beschränkten Naturwissenschaft
ab, die sich anmaßt, Fragen des Warum und Wozu beantworten zu können.
Sowohl Darwin als auch Einstein bewunderten die Sinnordnung hinter dem
Evolutionsgeschehen, ohne dadurch zu inkonsequenten
Naturwissenschaftlern zu werden.
Auch Jürgen Habermas und andere namhafte Philosophen kritisieren an dem
neuen Naturalismus, dass er Phänomene vernachlässigt oder gar bestreiten
muss, die zum zentralen Selbstverständnis des Menschen gehören.
Beispielsweise, dass wir Ziele und Intentionen haben und zu
verwirklichen suchen, uns als Akteure und Verantwortliche unserer
Handlungen sehen und auf Deutungen des Seins bestehen. (In diesem
Zusammenhang sei an die Debatten um Phänomene wie Selbstbewusstsein und
Freiheit im Zusammenhang mit der modernen Hirnforschung erinnert.) Hier
treffen ein philosophisch-theologischer „Raum der Gründe“ mit einem
naturwissenschaftlichen „Raum der Ursachen“ zusammen, die nicht
identisch, aber dennoch keineswegs unvereinbar sind - oder sein müssen.
Die Wurzeln der methodischen Vereinbarkeit von Schöpferglauben und
moderner Naturwissenschaft - und damit gleichzeitig auch des großen
Unterschieds von Christentum und den östlichen Religionen, auch des
Islams -; sieht Joseph Ratzinger in dem Zusammentreffen von biblischer
Botschaft und griechischem (hellenistischem) Denken, genauer:
platonischem Fragen. In dieser Verschmelzung löste sich das Christentum
weitgehend von seinen orientalischen Wurzeln und wurde zur
„europäischen“ Religion, wie Ratzinger betont.
„Dabei trägt die moderne naturwissenschaftliche Vernunft mit dem ihr
innewohnenden platonischen Element eine Frage in sich, die über sie und
ihre methodischen Möglichkeiten hinausweist. Sie selber muss die
rationale Struktur der Materie wie die Korrespondenz zwischen unserem
Geist und den in der Natur waltenden rationalen Strukturen ganz einfach
als Gegebenheit annehmen, auf der ihr methodischer Weg beruht. Aber die
Frage, warum dies so ist, die besteht doch und muss von der
Naturwissenschaft weitergegeben werden, an andere Ebenen und Weisen des
Denkens – an Philosophie und Theologie.“
Einhelliges Lob für diese Klärung der kirchlichen Position ist
allerdings nicht zu erwarten. Allem voran wird sie auf massiven
Widerspruch eines erheblichen Teils der angesprochenen „Naturalisten“,
also von Naturwissenschaftlern etwa aus der Hirnforschung, stoßen. Aber
auch philosophische Zweifel werden nicht ausbleiben. Zwar ist das
gedankliche Modell rational und in sich schlüssig, aber nur so lange,
wie es ausschließlich um den reinen Werdungsprozess von Welt und
Universum geht. In dem Moment, wo weitergehende Glaubenssätze der
Kirche in Betracht gezogen werden, beispielsweise das Gottesbild, das
Gott als reine Liebe definiert und ihm Allmacht zuspricht, wird es
schwierig. Konkret: Fundamentale Widersprüchlichkeiten, wie sie in der Theodizeefrage auftauchen, lassen sich rational einfach nicht auflösen.
Das allerdings mit und ohne Anerkennung der Evolutionstheorie nicht.
Dass die Klärung des katholischen Verhältnisses von biblischem Glauben
und Evolutionstheorie gerade in der letzten Zeit, und zwar besonders
unter Benedikt XVI. so deutlich vorangetrieben wurde, basiert auf
mehreren Umständen. Zum einen wurde es fast erzwungen durch die
Konfrontation mit dem oben erwähnten, größtenteils recht rabiaten Kreationismus. Hier musste, im kirchlichen Eigeninteresse, eine
Distanzierung erfolgen. Zum anderen liegt es aber auch in der Person
Ratzingers begründet, dessen geistige Wurzeln stark in der Philosophie,
vornehmlich der griechischen, verankert sind. Und zum Dritten: Die
Aussage stellt auch eine markante Abgrenzung zum Islam dar, weshalb
heftiger Protest von dieser Seite zu erwarten ist. Denn immerhin, so
wirkt es jedenfalls, bescheinigt Ratzinger dem Islam nicht weniger als
eine grundsätzliche Entwicklungsunfähigkeit.
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