Es war auffallend: Noch deutlicher als in den vergangenen Jahren traten
beim diesjährigen Medienforum.NRW starke Frauen in den
Blickpunkt. Frauen, die Rundfunkanstalten und große Unternehmen
leiten, Frauen, die für Pressefreiheit und Bürgerrechte kämpfen oder die anderweitig Einfluss auf die Entwicklung von
und durch Medien nehmen. Frauen also wie
Hannelore Kraft, Monika Piel, Anke Schäferkordt oder Esra‘a Al Shafei.
Und ja, selbstverständlich auch die derzeit anscheinend
unvermeidbare Margot Käßmann.
Medienpolitik reloaded
Da ihr als nordrhein-westfälischer
Ministerpräsidentin die Aufgabe zufiel, mit ihrer Rede den Kongress
thematisch zu eröffnen, setzte Hannelore Kraft folglich auch den
ersten Schwerpunkt. Und der lautete stark verkürzt: NRW ist medien-
und standortpolitisch grundsätzlich gut aufgestellt. Die Richtung
der eingeschlagenen Wege stimmt, allerdings gelte es, sie
weiterzuführen und zukunftsgemäß zu ergänzen.
Eine Feststellung, die die vorangegangenen NRW-Regierungen sicher
gern zur Kenntnis genommen haben.

Beim heftig diskutierten Thema Werbung plädierte Hannelore Kraft für eine
Reduzierung oder gar völlige Abschaffung bei den
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Das lasse sich aufgrund
der neuen Haushaltsabgabe finanziell gut verkraften. Um die schon
jahrelang angestrebte Verjüngung des Stammpublikums der
Öffentlich-Rechtlichen wirkungsvoller als bisher zu realisieren,
empfahl sie die digitalen Spartenkanäle neu zu sortieren und
teilweise auch zusammenzuführen. Als zukunftsträchtig empfahl
sie einen gemeinsamen digitalen Jugendkanal von ARD und ZDF und
eine öffentlich-rechtliche Online-Plattform für junge Zielgruppen.
Ein besonderes Anliegen muss ihr - wie jedem anderen Regierungschef
- die zukunftsorientierte Bildung von Kindern und Jugendlichen sein.
Auch und gerade im Hinblick auf die Medienkompetenz. Folgerichtig
legte sie ein klares Bekenntnis zur Fortführung des von der
Regierung Rüttgers eingeleiteten Projektes "ZeitungsZeit NRW"
ab. Dieses ermöglicht Schülern der neunten Klasse, drei Monate lang
kostenlos (weil landesfinanziert) eine regionale oder lokale
Tageszeitung zu beziehen. Durch die bisherige Aktion, so Kraft, sei
bereits jeder vierte Neunklässler zum Zeitungsleser geworden. Keine
Frage: Das ist eine gute Nachricht. "Denn nur wenn schon junge
Menschen lernen, was eine glaubwürdige Nachricht ausmacht, was wir
unter dem Begriff Qualitätsjournalismus verstehen, nur dann hat
dieser Qualitätsjournalismus eine Zukunftsperspektive."
WDR-Intendantin im
nordafrikanischen Palast?

Das Stichwort
Zukunftsperspektive und Qualitätsjournalismus beschäftigte auch die
WDR-Intendantin Monika Piel, wenn auch unter anderem
Vorzeichen. Sie steht derzeit turnusmäßig an der Spitze der ARD,
trat also quasi doppelgewichtig in Erscheinung. Was offensichtlich
einen Blogger und freien Journalisten namens
Richard Gutjahr
zu der Feststellung bewog: "Die Mächtigen in den Sendern kommen mir
so vor wie die Machthaber in nordafrikanischen Ländern." Und zwar
deshalb, weil sie die Stimme(n) des Volkes, die sich in Blogs und
Sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter artikulierten, nicht
gebührend zur Kenntnis nähmen. Doch mit diesem nassforschen Einstand
erlangte Gutjahr keineswegs den wohl erhofften Jubel des
Auditoriums. Allerdings schaffte er es, damit das prominent besetzte
Podium einigermaßen aufzumischen. So attestierte ihm Monika
Piel Anmaßung, und zwar unter dem demonstrativen Beifall des
Auditoriums. Dass Personen nicht aktiv bei Facebook oder Twitter
vertreten seien, belege noch lange nicht, dass sie das Treiben in
den sogenannten Sozialen Netzwerken nicht zur Kenntnis nähmen und
dort, wo es angebracht sei, auch journalistisch auswerteten.

Mit Anke Schäferkordt, Geschäftsführerin von RTL,
dem kommerziell erfolgreichstem Free-TV-Programmanbieter Europas,
und eine der gewieftesten
Medienfrauen weit und breit, nahm der schon aus den Vorjahren
bekannte Disput um die Legitimität von Werbeeinahmen der
Öffentlich-Rechtlichen und um deren Anspruch auf umfangreiche
Präsenz im Internet seinen Lauf. Piel sieht in einer Werbefreiheit
der öffentlich-rechtlichen TV-Programme kein Problem, sofern die
wegfallenden Werbeeinnahmen durch höhere Gebühreneinnahmen ersetzt
würden. Schäferkordt begrüßte die Forderung nach Werbefreiheit, denn
das sorge beim dualen Rundfunksystem für mehr Trennschärfe. Zudem
könne es das derzeit gegebene "massive Quotendenken" der ÖRs beim
Vorabendprogramm deutlich einschränken. Was Piel damit konterte,
dass sich ihr Sender auch ohne Werbung für massenattraktive
Programme einsetzen werde.
Der andere Blickwinkel
Einen besonderen Akzent zum Ende der ersten großen Diskussionsrunde des
Kongresses sowie auch bei weiteren Veranstaltungen setzte Esra‘a Al Shafei. Die 25-jährige Muslima aus
Bahrain gehört zu den aktivsten Bürgerrechtlerinnen der arabischen
Welt. Sie bloggt für Menschenrechte und Meinungsfreiheit. Und – im
Gegensatz zu der „getürkten Bloggerin“ Amina Abdallah Arraf, hinter
deren Namen sich ein in Schottland lebender Amerikaner verbarg –
gibt es sie wirklich. Was sie durch ihre Anwesenheit mehrfach bewies.
Allerdings ist auch ihr Name ein Pseudonym, und jeder ihrer
Auftritte ist immer mit der dringenden Bitte verbunden, keine Fotos
oder Zeichnungen von ihr zu machen und zu veröffentlichen. Nur in
einer weitgehenden "Unsichtbarkeit" ist es ihr möglich, in ihrem
kleinen Heimatland unbehelligt zu bleiben. Angeblich wissen selbst
ihre Eltern nur, dass sie mit Computern arbeitet, aber nichts von
ihrem bürgerrechtlichen Engagement.
Und das will was heißen.
Denn immerhin ist Esra'a Al Shafei Gründerin
und Leiterin der Internetplattform http://www.MideastYouth.com,
einem Netzwerk vornehmlich junger Menschen, die sich für
Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt im Nahen Osten und Nordafrika
einsetzt. Sie hat bereits mehrere Kampagnen für die Rechte von
religiösen, kulturellen und ethnischen Minderheiten geleitet und ist
dafür mehrfach ausgezeichnet worden. Unter anderem mit dem Berkman
Award des Harvard University's Berkman Center. Zu ihren jüngsten
Projekten gehört die Internetpräsenz http://www.crowdvoice.org, eine
Plattform, auf der die Nutzer Videos mit deutlich „hörbaren“
Protesten aus allen Teilen Welt, besonders aber aus dem Nahen Osten
einstellen und zusammentragen können. Und auch http://www.ahwaa.org,
eine Internetadresse vorrangig für Homosexuelle aus dem arabischen
Raum, wo das Thema Homosexualität offiziell geächtet ist, geht auf
ihre Initiative zurück. Diese Internetplattform, auf der sich
Schwule und Lesben aus dem Mittleren Osten austauschen, sei das
Gefährlichste, was zurzeit unter dem Label „Mideastyouth“ laufe,
glaubt Al Shafei. „Wenn ich ins Gefängnis muss, dann sicherlich
dafür.“
Immer wieder bekräftigte sie,
dass die aktuellen revolutionären Bewegungen im Nahen Osten und
Nordafrika ohne die digitalen Kommunikationswege so nicht möglich
wären. Weshalb das Schlagwort von der „Online-Revolution“ im
wohl verstandenen Sinn durchaus gerechtfertigt sei. Klar, dass ihr
die europäischen Medienprobleme, die beim Medienforum.NRW auch immer
wieder zur Sprache kamen, dagegen geringfügig erscheinen.
Schließlich muss die 25-Jährige aufgrund ihrer Arbeit ständig mit
einer Gefängnisstrafe rechnen. Dieses Risiko nimmt sie jedoch auf
sich aufgrund der enormen Bedeutung, die (nicht nur) sie einem
zeitgemäßen Medienangebot für die Jugend in ihrem Land
(Bahrain) und den anderen Nahoststaaten zumisst. Es ist ein
unverzichtbares Element des Widerstandes. „Ein 18- oder 20-Jähriger
macht sich nicht die Mühe, große PDF-Dateien zu lesen“, so Esra‘a Al
Shafei, „er möchte einen YouTube-Clip sehen und Teil eines
Lebensstils sein“.
Stärker als erwartet

Ach, ja, und dann war da auch noch
Margot Käßmann, neuerdings
Professorin für Sozialethik und Ökumene an der Ruhr-Universität
Bochum. Ein scheinbar unvermeidlicher Auftritt, da die Theologin seit ihrer
alkoholisierten Autotour medial nahezu omnipräsent ist. Und
sich auch zu nahezu jeder Thematik äußert.
Dementsprechend skeptisch sahen manche Kongressbesucher
ihrem Beitrag im Rahmen der Veranstaltung "Local
Hero, Global Player: Die Rolle der Zeitung" entgegen.
Doch - Skeptiker und
Lästermäuler mussten zurückstecken. Frau Käßmann hatte zum Thema
Medien tatsächlich
etwas zu sagen, was mehr war als die ihr vielfach vorgeworfene "Eiapopeija-Prosa"
(Denis Schek). Auch wenn nicht allen alles zustimmungsfähig
erschien, so erschöpften sich ihre
Ausführungen jedoch nicht im Pauschalen (etwa: Nichts ist gut
in Afghanistan.) oder im blumig Allgemeinen (etwa: Wir müssen mehr
Phantasie wagen. oder Wichtig ist, nicht zu vertrocknen,
sondern offen zu sein für das Neue und keimen und aufblühen zu
lassen, was blühen will und kann.). Sie wurde durchaus konkret.
„Die Zeitung ist für mich
ein Ort der Entschleunigung“, bekannte sie und führte ein
geradezu leidenschaftliches Plädoyer für die regionale Tageszeitung,
zeigte sich aber zugleich um deren Zukunft besorgt. Anders als das Internet,
so Käßmann, beschere die Zeitung dem Leser Informationen, die er nicht gezielt
abgerufen habe. "Sie überrascht mich und erweitert meinen Horizont.“ Darüber hinaus sei die Zeitung auch ein Gemeinschaft
stiftendes Medium, da sich Menschen, so wie beispielsweise sie mit
ihren Töchtern, nach der Lektüre über die diversen
Artikel austauschen könnten. Das allerdings, sei hier eingewandt,
funktioniert grundsätzlich auch bei anderen Medien.
Zu Recht verwies sie auf
ein schizophren anmutendes Verhalten in unserer Gesellschaft,
nämlich die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche im Fernsehen mit
Situationen und Fakten konfrontiert werden, vor deren weit weniger
dramatischen Form
Erwachsene sie im realen Leben oftmals geradezu hermetisch
abschirmten. So dürfen sogar kleinere Kinder täglich Mord und
Totschlag in Fernsehen betrachten, würden aber andererseits nicht
auf Beerdigungen mitgenommen, "um sie nicht zu traumatisieren". Eine
wichtige Aufgabe der Medien sieht sie darin, auch über gelingendes
Leben zu berichten - neben all den Krisen und Kriegen, über die
notgedrungen informiert werden muss. Dies um so mehr, als Eltern
selbst das
ihren Kindern oft nicht mehr vermitteln können. Eine Aufgabe also,
die auf die öffentlich-rechtlichen Einrichtungen im Rahmen ihres
Bildungsauftrages immer mehr zuzukommen scheint. Dass sie auch auf
ihre (für sie unangenehmen) Erfahrungen mit den Medien einging, als
sie Anfang 2010 nach ihrer Alkoholfahrt von
ihren Ämtern zurückgetreten ist - geschenkt. Immerhin bot das der
Theologin den sehr realen Anlass, die Respektierung und Verteidigung
der Menschenrechte seitens der Medien zu fordern. Diese würden im
Kampf um Aktualität und Exklusivität von Schlagzeilen bisweilen
deutlich missachtet.