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Klimakrise
Ist das geistige Gerüst der Institution
Kirche noch tragfähig?
Von Christa Tamara Kaul -
April 2023
So wie Tag für Tag mehr Eis von den Polarkappen und den
Gletschern wegschmilzt, so schwindet auch Tag für Tag mehr von
der Glaubwürdigkeit und – zumindest in Europa – von den
Mitgliedern der katholischen Kirche. Kann noch verhindert werden,
dass aus der Klimakrise eine Klimakatastrophe wird? Die Chancen
dafür stehen – in beiden Fällen – auf der Kippe.

Unterschiedliche Meinungen gehören seit jeher auch zur
katholischen Kirche. Allerdings wurden zu aufmüpfige
Diskussionen bisher meistens durch ein Machtwort aus dem „System
Kirche“, also seitens der jeweilig zuständigen Bischöfe oder gar
aus Rom, in überschaubaren Grenzen gehalten. Dabei wurde trotz
der Botschaft von der Liebe Gottes und der Zuwendung zu den
Leidenden und Unterdrückten dieser Welt meistens überdeckt, dass
das „System Kirche“ seit langem ein in sich geschlossener
Machtapparat ist, der den Missbrauch von Menschen ermöglicht.
„Ich glaube, der Missbrauch von Macht steckt in der DNA der
Kirche", hatte der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer bereits
2018 in einem Interview gesagt. Man könne das nicht mehr als
peripher abtun, sondern müsse radikal umdenken. "Bisher aber
fehlt es uns an jeglicher Idee, welche Konsequenzen das für die
Theologie haben muss." Immerhin machten sich die Deutsche
Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken
ein Jahr später gemeinsam auf den Weg, um dieses teilweise
toxisch gewordene System zu durchbrechen und
Korrekturmöglichkeiten zu suchen.
Am 1. Dezember 2019 starteten sie den Synodalen Weg. Dabei
geht es um ein deutliches Mehr an Selbstbestimmung der Gläubigen
vor Ort und in den Bistümern, um mehr Geschlechtergerechtigkeit,
eine veränderte Sexualmoral und flachere Hierarchien und damit,
wie es der Fundamentaltheologe Magnus Striet in einem Beitrag der
„Herder Korrespondenz“ formulierte, um nichts weniger als die
Frage: Wie modernitäts- und pluralitätsfähig ist der
Katholizismus? Was letztendlich zu der katholischen Gretchenfrage
führt: Wie hältst du es mit der Freiheit?
Dass die schon länger bestehenden Gräben zwischen
Fundamentalisten und Erneuerern sich spätestens an diesen
Fragen weiter vertiefen und noch deutlicher hervortreten würden,
war zu erwarten. Immerhin hatten (mal wieder!)
rückwärtsorientierte Bischöfe, die in Deutschland
Minderheitenpositionen vertreten (Rainer Maria Woelki, Köln –
Bertram Meier, Augsburg – Stefan Oster, Passau – Rudolf
Voderholzer, Regensburg – Gregor Maria Hanke, Eichstätt), einen
Brief nach Rom geschrieben und Fragen gestellt, wie sie sich
hinsichtlich des Synodalen Wegs verhalten sollen. „Müssen wir
mitmachen?“ Nahezu selbstverständlich agierten diese Glorreichen
Fünf am Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg
Bätzing, vorbei. Was aber kaum jemand verwunderte.
Die entsprechende Reaktion von Papst Franziskus allerdings
verwunderte viele. Dies sei kein "echter synodaler Weg", "keiner
des Volkes Gottes in seiner Gesamtheit", sondern einer von
„Eliten“, ließ er sich in einem Interview mit Associated Press
(AP) vernehmen. Und er bescheinigte dem Synodalen Weg in
Deutschland, dass die Gefahr groß sei, dass etwas "sehr sehr
Ideologisches" hineinkomme. Und wenn sich die Ideologie "in
kirchliche Prozesse" einmische, dann gehe der "Heilige Geist nach
Hause". Nach Hause? Gehört denn nicht auch die Kirche zu seinem
Zuhause? Dann ist er doch auf dem genau richtigen Weg!
Irgendwie erinnerte dieser Einwand an eine Bemerkung Josef
Ratzingers, die er 1979 in seiner Zeit als Bischof von
München-Freising machte und mit der er den "demokratisierenden
Auftrag" des römischen Lehramtes hervorhob, den "Glauben der
Einfachen" gegen die "Macht der Intellektuellen" zu verteidigen.
Dabei ist ungedingt zu bedenken, dass ungefähr zwei Wochen vor
dieser Aussage Rom dem Theologieprofessor Hans Küng (unter
anderem wegen dessen Kritik am Dogma der Unfehlbarkeit) die
kirchliche Lehrerlaubnis entzogen und damit wohl einen
frühzeitigeren Aufbruch zu durchlässigeren, weniger
systemschützenden Machtstrukturen ausgebremst hatte. Doch wie
auch immer die Rolle Josef Ratzingers, des späteren Papstes
Benedikt XVI., für die Kirche in Zukunft bewertet werden wird:
Eine seiner ganz großen Leistungen hat er ohne jeden Zweifel mit
seinem Rücktritt als Papst erbracht, mit dem er das Papsttum
weitgehend entzaubert und für alle erkennbar die einst himmlisch
konnotierte Institution auf menschliches Maß gestutzt hat.
 Und
der allgemeine Drang zu mehr Selbstbestimmung ist
mittlerweile in der Kirche nicht mehr zu unterdrücken. Das gilt
für viele Bereiche, ganz besonders aber für den der
Geschlechtergerechtigkeit und dem Mitentscheidungsrecht von
Laien. Sollte „die Kirche“ das nicht kapieren, so dürfte sie –
zumindest zunächst in Europa – auf ein Minimum ihrer aktuellen
Größe und ihres gegenwärtig noch vorhandenen Einflusses
schrumpfen. Das bedeutet, dass auch die jahrhundertlange
kulturelle Selbstverständlichkeit des christlichen Glaubens
rasant weiter schwinden wird. Dem könnte die Kurskorrektur des
Synodalen Wegs, wie sie im deutschen Entwurf skizziert ist,
möglicherweise tatsächlich entgegenwirken. Sofern, wie gesagt,
die römische Kurie zu verstehen beginnt. Das ist allerdings nach
der ersten europäischen Phase der von Franziskus angekündigten
Weltsynode keineswegs sicher. Dort, in Prag (05.-09.02.2023),
nahmen zwar 200 Personen vor Ort und 390 online teil – und
redeten auch ziemlich viel. Doch waren besonders in der deutschen
Gruppe viele enttäuscht, und das nicht nur wegen einer schlechten
Organisation, sondern vor allem, weil die Entscheidungen (mal
wieder!) von den anschließend (bis zum 12.02.2023) tagenden 39
Vorsitzenden aller europäischen Bischofskonferenzen getroffen
wurden, also von der kirchlichen Führungselite (Wie war das doch
gleich mit den Eliten?).
Als „große Täuschungsaktion der Bischöfe“ bezeichnete denn
auch der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke das Prager
Treffen. Da würden Dokumente als Entscheidungen verkauft, die ja
bloß ein unverbindliches Äußern von Meinungen und Bitten seien,
sagte er der „Rheinischen Post“. „Und die Laien machen das
einfach mit und geben dazu die Bühne, auf der die Bischöfe sich
als dialogbereit inszenieren können. Dabei müssen sie nicht das
Geringste ihrer ständisch begründeten Positionsmacht aufgeben.“
Nun, so ganz stimmt das (Gott sei Dank!) nicht. Auch wenn es nach
wie vor deutliche Differenzen bei der Einschätzung des
kirchlichen Reformbedarfs gibt, so sehen es immerhin viele und
vor allem eine Mehrheit der deutschen Bischöfe ähnlich wie
Lüdecke. Allerdings wecken die Signale aus dem Vatikan weiterhin
Misstrauen. So wurde beispielsweise das Zentralkomitee der
deutschen Katholiken nicht zu dem anschließenden internationalen
Kongress (16.-18.02.2023 in Rom) über das Zusammenwirken von
geweihten Amtsträgern und katholischen Laien eingeladen.
„Prag war anstrengend – und Rom (erstes Weltsynodetreffen im
Oktober 2023) wird noch anstrengender werden“, fasste Georg
Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz die
synodalen Aussichten zusammen. „Ich wäre froh, wenn es auf Ebene
der Weltkirche erlaubt würde, dass in einigen Ortskirchen Dinge
möglich sind, die in anderen Teilen nicht oder noch nicht
relevant sind. Wir brauchen eine neue Hermeneutik des
Katholischen, in der Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten unter
einem Dach ihren Ort haben und leben dürfen.“ Auf gleicher Linie
steht neben vielen anderen der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf:
„Es gibt nicht nur unterschiedliche Geschwindigkeiten, sondern
auch völlig unterschiedliche Kirchenbilder und auch
unterschiedliche Bilder von Synodalität. Wenn die katholische
Kirche zusammenbleiben soll, kann es nur über das Zugeständnis
regionaler Lösungen und Wege 2gehen, um eine wirkliche Einheit in
Vielfalt zu gestalten.“
Dem ist nichts hinzuzufügen. Ergo, pugnate!
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Abbildungen von Peter Weidemann und Christiane Raabe, beide über
"pfarrbriefservice"
Links zum Thema
https://tinyurl.com/5n987ezw
Kohlgraf: Fehlende Geschlechtergerechtigkeit versperrt Weg zu
Botschaft
https://tinyurl.com/4hve42tx
Synodalität stellen wir uns anders vor
https://tinyurl.com/mta47e5s
Synodaler Weg ist längst kein Sonderweg mehr
https://tinyurl.com/2p8rbhd3
Am Ende entscheiden nur die Bischöfe
https://tinyurl.com/d2yyvupx
Pope warns German church reform process elitist, ideological
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