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Kann der Algorithmus auch Gott?
 

Von Christa Tamara Kaul    -    August 2024

 

 

Können wir bald das Jenseits ins Diesseits verlegen? Oder zumindest erfahrbar machen? Es sieht zunächst wie eine rein technische Frage aus: Mit ausreichend vielen Daten kann bereits heute jedes Lebewesen auch nach seinem Tod als optische und akustische Simulation virtuell wieder in Erscheinung gerufen werden und in dieser Form „weiterleben“. Künstliche Intelligenz (KI) macht’s möglich. Und ebenso wie viele Religionen verheißt KI damit auch, dass es eine Daseinsform nach dem Tod und jenseits der körperlichen Existenz gibt. Bis in alle Ewigkeit? Was für eine Ewigkeit? Was für ein Sein?

Der Mensch sei nicht für die Ewigkeit gemacht, das höre er immer wieder, äußerte der Transhumanist und Ingenieur José Luis Cordeiro, der zusammen mit Mateo David Wood das Buch „Der Sieg über den Tod“ geschrieben hat. Doch das hält er für einen überholten Glaubenssatz und erwidert: Der Mensch ist auch nicht zum Fliegen gemacht. Und dennoch fliegen wir heutzutage zum Mond. Folgerichtig dürfte es auch zutreffen, dass in der künftigen Gesellschaft, die in ein paar Jahren nur noch aus Digital Natives bestehen wird, also Menschen, die mit den digitalen Medien aufgewachsen sind und jede Menge Daten von sich hinterlassen, der Umgang mit Tod, Trauer und Erinnerung auch stark digital geprägt sein wird. Spätestens da stellen sich Fragen nach den diesbezüglichen Auswirkungen, auch und gerade denen für die Kirche(n) und deren Lehre(n).

Es ist längst allgemeine Erkenntnis, dass „das Netz“ nichts vergisst. Daten, die einmal auf die digitalen Bahnen gesetzt wurden, kurven dort für mehr oder minder alle Zeiten herum. Alle Stationen einer Biografie, alle Abbildungen und Äußerungen im Netz, alle Community-Beiträge und deren Feedbacks jeder Person sind mehr oder weniger einfach abrufbar und von Algorithmen entsprechend deren Programmierung zusammenführ- und bearbeitbar. Selbst dann, wenn das Individuum damit nicht einverstanden ist. Mit dieser Transparenz kommt die KI einer Macht nahe, die bisher nur Gott zugesprochen wurde.

Gott – der Ewige, Allmächtige und Allwissende, der vor aller Zeit war und nach aller Zeit sein wird. Der „Himmel und Erde erschaffen hat“. Dem nichts von allem Existenten verborgen bleibt. So wie etwa im Johannes-Evangelium (2:24-25) bekundet wird, dass Jesus es nicht nötig hatte, „dass ihm jemand Zeugnis gab vom Menschen; denn er wusste, was im Menschen war“. Soweit das christliche Verständnis von Gott und seiner Allmacht. Doch kein Anleinstellungsmerkmal mehr? Denn scheinbar weiß auch die KI jetzt – oder zumindest sehr bald – alles, „was im Menschen“ ist. Für die Wissenschaftler Ayad Al-Ani, u.a. assoziiertes Mitglied des Einstein-Zentrums „Digitale Zukunft“ in Berlin, und Martin Lätzel, Direktor der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek, bildet Künstliche Intelligenz daher bereits Aspekte göttlicher Macht ab. In der Zusammenarbeit zwischen Menschen und Technologie, „welche zielgerichtete Ansprachen, Interpretationen und auch das Erleben von Transzendenz beinhaltet“, werde die Technologie ob ihrer Mächtigkeit „die Kräfte Gottes verständlicher machen – und so zwangsläufig göttlicher werden“.

Wer jetzt ganz schlicht fragt, wohin denn mit den ungeheuren Datenmengen, die sich notwendigerweise anhäufen werden angesichts der stetig wachsenden und „ewig lebenden digitalen Bevölkerung“, der unterschätzt den allgemeinen technologischen Fortschritt. Da werden Quantencomputer und andere, heute noch in den Kinderschuhen steckende Technologien für Abhilfe sorgen. Etwa das gerade sich entwickelnde Speichermedium aus silikatbasiertem Glas. Doch viel ausschlaggebender ist ein anderer Gesichtspunkt. Das ist die Tatsache, dass eine gründliche Strukturierung und Filterung der überbordenden Informationsflut notwendig ist und zukünftig erst recht sein wird. Eine Arbeit, die bekanntlich von Algorithmen geleistet wird. Das bedeutet auch, dass Algorithmen immer stärker in unser tägliches Leben eingreifen werden. Doch diese immer mächtiger werdenden Instrumente sind weder wertfrei noch neutral. Sie funktionieren gemäß der Dateneingabe und Absicht derjenigen, die sie programmieren – und damit bestimmten weltanschaulichen, politischen oder wirtschaftlichen Interessen.

Könnte eine solche interessenbasierte Unsterblichkeit das Versprechen eines ewigen Lebens erfüllen, wie es etwa das Christentum verheißt? Oder ist es vielmehr eine Illusion, die die spirituelle Tiefe und den metaphysischen Aspekt übergeht? Bisher jedenfalls sind die spektakulären Versprechen der angekündigten digitalen Paradiese – angefangen etwa bei den Krypto-Geld-Vermehrern, den Sprachbots und den NFTs bis hin zu den Parallelwelten des Second Life und des MetaVerse – (nicht nur) nach Ansicht des Publizisten und Trendforschers Matthias Horx gescheitert oder zumindest an ihre Grenzen gestoßen. „Semantische KI kann eigentlich keine wirklichen Probleme lösen. Sie kann weder Informationen besser auslesen, denn sie hat kein Kriterium für Wahrheit und Richtigkeit, die Irrtümer korrigieren könnte. Noch kann sie Kreativität ermöglichen. Sie kann all das nur simulieren, was sie zu „tun“ vorgibt“, so Horx. Für ihn handelt es sich bei der KI um einen Mythos, „ein Paradox; das, was der Systemforscher Niklas Luhmann einen Kategorienirrtum nennt“. Allerdings: 2001 prognostizierte Horx auch, dass sich das Internet auf absehbare Zeit nicht zu einem Massenmedium entwickeln werde. Gekommen ist es bekanntlich anders.

Können Algorithmen also vielleicht doch die Stelle Gottes einnehmen? Im christlichen Verständnis ist ewiges Leben etwas mehr als das Fortbestehen des Bewusstseins und der optischen Erscheinung; es ist eine andere, transzendente Existenz, die über das hinausgeht, was Technologie bieten kann. Jedoch – und darauf stoßen uns die gerade die Algorithmen – fordert uns die Schnittmenge von KI, Religion und ewigem Leben dazu heraus, unsere Vorstellungen von Bewusstsein, Spiritualität und Unsterblichkeit neu zu überdenken. Es gibt allen Grund, neu über Gott nachzudenken, so wie es auch Bischof Dr. Georg Bätzing immer wieder betont: "Unser Sprechen von Gott wird sich verändern müssen, dringend… Wir tun ja als Kirche immer noch so, als wüssten wir eindeutig, wie Gott ist und was er von uns erwartet. Doch in weiten Teilen haben unsere Bilder von Gott und unser Reden über ihn den Anschluss an das Wissen unserer Zeit verloren." Allerdings! Das kann gar nicht oft genug gesagt werden.

Aber: KI, Virtuelle Realität und Augmented Reality sind keineswegs unsere „Feinde“. Sie können durchaus sinnvolle Dimensionen eröffnen, auch in der Seelsorge – etwa neue Formen des Meditierens, Betens und spirituellen Lernens ermöglichen, auch helfen, Menschen in Not zu unterstützen. Es liegt auch an uns, Richtlinien zu entwickeln, die bewirken, dass KI im Einklang mit unseren ethischen und spirituellen Werten eingesetzt wird.
 

 

 

Links zum Thema

 

Technisierte Religion - KI als neue Religion?

https://tinyurl.com/yu5dk3cw

 

Affective Computing – Wie KI-Algorithmen unsere Gefühle erfassen

https://tinyurl.com/nbwefwm7

 

Matthias Horx: Die nackte Wahrheit der künstlichen Intelligenz

https://tinyurl.com/mr4buyyv

 

Eine KI als Begleiter kann in schwierigen Zeiten Erleichterung schaffen

https://tinyurl.com/58cd2r2d

 

 

 

Abbildungen - KI-generiert:  Christian Schmitt  -  Pfarrbriefservice

 

 

 


 

© Christa Tamara Kaul