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Johanna Betz / Svenja Keitzel / Jürgen Schardt / Sebastian Schipper / Sara Schmitt Pacífico / Felix Wiegand (Hg.)
2021, 450 Seiten
25,00 Euro
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"Global City" Frankfurt am Main
Zwischen global agierender Elite, Gentrifizierung und brisanten Sozialkämpfen
Von Christa Tamara Kaul - Januar 2022
Die Spaltung der Gesellschaft nimmt zu, heißt es immer wieder.
Das zeige sich bei den Einkommen und der ungleichen Verteilung
der Vermögen – und besonders beim Zugang zu Wohnraum. So
ist das Thema „Wohnen“ zu einem der brisantesten sozialen
Brennpunkte unserer Zeit geworden. Begriffe wie Gentrifizierung,
Zwangsräumungen und Wohnungslosigkeit stehen dabei im Mittelpunkt
– auch und gerade in Frankfurt am Main, einem Zentrum der
schillernden Finanzwirtschaft und gleichzeitig Metropole mit dem
höchsten Migrantenanteil in Deutschland. Wie lebt es sich in
dieser Stadt?
Vorweg einige Anmerkungen zur Vermögenslage. Die Behauptung von
der immer größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich ist nicht
eindeutig zu fassen und offenbar nur bedingt richtig. Wie das
Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer deutschlandweiten
Untersuchung 2021 feststellte, hat sich die Ungleichheit bei den
Einkommen der „eingesessenen“ Bevölkerung in den vergangenen
Jahren insgesamt nicht vergrößert, sondern sich zwischen 2005 und
2016 sogar leicht verringert. Es war demnach die verstärkte
Zuwanderung von außen, die etwa ab dem Jahr 2010 zu dem heute in
der Gesamtbevölkerung tatsächlich gewachsenen Unterschied der
finanziellen Verhältnisse führte. Hinzu kommt, dass Deutschland
ein „Mieter-Land“ ist, d.h. nur etwa 40 Prozent der Menschen
wohnen in der eigenen Immobilie, in Italien und Spanien
beispielsweise sind es etwa 70 bis 80 Prozent. Da die Preise auf
dem Immobilienmarkt ebenfalls seit Beginn der 2000er Jahre rasant
in die Höhe schnellten, wurde ein relativ kleiner Teil der
Bevölkerung, vor allem die Immobilieneigentümer, immer
wohlhabender. Und diese Preisparty hält nach Ansicht von etlichen
Gutachtern weiter an. Für Wohnungen oder gar Häuser in den
Städten müssen Käufer immer mehr Geld hinlegen – und auch das
Umland ist teurer geworden. Folglich verschiebt sich die
Vermögenslage weiterhin. Und diesen Unterschied, nämlich dem
zwischen spektakulärem Reichtum und sozialer Bedürftigkeit,
bekommt man gerade in Frankfurt nicht zuletzt beim Zugang zu
Wohnraum zu spüren.
Abb.: Frankfurt bei Nacht: Panorama von Bankenviertel und Dom
Es ist schon eine sehr besondere Stadt:
Jahrhunderte lang
Ort der Kaiserkrönung im Hl. Römischen Reich Deutscher Nation und
Geburtsort Goethes. Dazu bereits seit dem Mittelalter ebenso
Stadt der Finanzwirtschaft und der Banken, Ursprungsort der
Rothschild-Dynastie und heute sowohl Sitz der Deutschen
Bundesbank als auch der Europäischen Zentralbank sowie
Deutschlands wichtigster Börsenplatz – ein
Finanzzentrum, in dem der Handel ebenso blüht(e) wie das
bürgerliche Mäzenatentum. Aber auch, nach dem II. Weltkrieg, in
dem die Stadt in Schutt und Asche gelegt wurde, Ort des rasanten,
teils unkontrollierten Wachstums, das etliche „Kollateralschäden“
generierte – etwa eine ausgeprägte Rotlicht- und
Drogenkriminalität sowie in den 60er- und 70er-Jahren den Terror
der RAF (Rote Armee Fraktion). Und nicht zuletzt ist die Stadt
Drehkreuz von Verkehr und Logistik und Ort des größten deutschen
Flughafens.
Ausländische Bevölkerung in Großstädten
Abb.: Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen
Nun haben die Frankfurter seit Jahrhunderten Erfahrung mit
internationalem Flair und Handel. Und wer nach dem Krieg in
dieser Stadt aufwuchs, kennt sie gar nicht anders als gemischt
mit Menschen anderer Nationalität, Hautfarbe und Sprache.
Schließlich hatten die USA Frankfurt nach dem Krieg als Hauptsitz
ihrer Besatzungsstreitkräfte gewählt. Das ehemalige
IG-Farbenhochhaus, das jetzt seit 2001 einen wesentlichen Teil
der Goethe-Universität beherbergt, diente einst der
amerikanischen Militärverwaltung als Hauptquartier (American
Headquarters), nach der Wiedervereinigung bis 1995 noch weiterhin
als Sitz verschiedener amerikanischer Organisationen, u.a. einer
CIA-Filiale. Und an der Adickes-Allee, wo heute das
Polizeipräsidium seinen Sitz hat, befand sich mit dem „PX FFM“
der größte Supermarkt Europas zu einem Zeitpunkt, als in
Deutschland Selbstbedienung noch ein Fremdwort war. An
Samstagabenden konnte man – jenseits des Rotlichtviertels –
Amerikaner in Klubs und Bars treffen, etwa im „Jazzkeller“ oder
im „Whisky à go go“. Das Verhältnis zu diesen Ausländern,
„unseren Amis“, war geprägt von Neugier und oft gegenseitigem
Respekt, teilweise sogar Bewunderung und dem Bewusstsein, dass
sie einer klar abgegrenzten Autorität und Struktur unterlagen,
nicht in die eigenen (deutschen) Belange eingriffen und darüber
hinaus auch nicht „ewig“ bleiben würden. Das und auch die etwa
seit den 1960er Jahren hinzu kommenden „Gastarbeiter“ verliehen
Frankfurt ein sich von den allermeisten anderen deutschen Städten
unterscheidendes „kosmopolitisches Betriebsklima“, das andere
Städte für Frankfurter oft provinziell erscheinen ließ – (West-)Berlin
ausgenommen.
Doch das „Betriebsklima“ begann sich langsam zu ändern.
Als die Amerikaner abgezogen waren, stellten nun vor allem
Migranten den Hauptteil der nicht deutschen Bevölkerung. Was seit
dem Beginn der 2000er Jahre durch den Zustrom von immer mehr
Geflüchteten aus Krisen- und Kriegsgebieten rapide zunahm. Diese
Menschen lebten und leben großenteils im unteren
Einkommensbereich oder aber von Sozialhilfe. Und deren
Bedürfnisse und Interessen konkurrier(t)en immer stärker mit
denen der weniger vermögenden Einheimischen. Auf der anderen
Seite aber zog die boomende Dienstleistungs- und Finanzwirtschaft
der traditionell weltoffenen Stadt etliche Kapital- und
Immobilieninvestoren sowie viele hochqualifizierte Arbeitskräfte
verschiedener Nationalitäten an, was den Immobilienmarkt in eine
immer höherdrehende Preisspirale trieb, hin zur optimalen
Gewinnmaximierung. Für die bestens verdienenden Mitarbeiter der
entsprechenden Wirtschaftssegmente stellt es kein Problem dar,
beispielsweise für eine Wohnung von 130 qm eine Monatsmiete von
3.300 Euro zu zahlen. Und dabei handelt es sich nicht um ein
Luxusappartement. So hat Frankfurt, nach München,
deutschlandweit die höchsten Immobilien- und Mietpreise, die
selbst für „Normalverdiener“ der Mittelschicht oft nicht mehr
bezahlbar sind. Beides zusammen – die florierende
Dienstleistungs- und Finanzwirtschaft einerseits und der
überdurchschnittlich hohe Anteil von Menschen, vor allem Migranten, in prekären Verhältnissen andererseits führen zu der
auseinander driftenden Einkommens- und Vermögensschere der
Frankfurter Bevölkerung und den sich daraus ergebenden sozialen
Konflikten. Folglich lebt es sich recht unterschiedlich in „Mainhatten“.
Abb.: bpb, 2012 (Ausschnitt)
Einen Überblick über diverse strukturelle Ungleichgewichte und
soziale Konflikte gibt das oben erwähnte Buch „Frankfurt am
Main – Eine Stadt für alle?“. Mehrere Autorinnen und Autoren aus
Wissenschaft, sozialen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen
Initiativen diskutieren und beleuchten verschiedene Probleme aus
unterschiedlichen Perspektiven und zeigen dabei eine Bandbreite
diverser Lebensentwürfe. Anhand von Konfliktdarstellungen aus
Stadtteilen wie Sossenheim und Westhausen mit einem aufkommenden
„Prekariat“ oder der zunehmenden Gentrifizierung ganzer Areale
etwa in
den Stadtgebieten Nordend und Gallus werden Beispiele konkret.
Wobei deutlich wird, dass es bei der Stadtentwicklung oft auch um
Verschiebungen des politischen Spektrums geht. Das zeigt etwa der
Beitrag zu den Stadtteilen Riederwald und Nied, wo der
Stimmenanteil der AfD in etwa parallel zu der zunehmenden Zahl
von Migranten in den Vierteln anstieg. Deutlich wird immer
wieder, u.a.
in dem Beitrag über den „Campus Bockenheim“, dass den inzwischen
entstandenen verschiedenen Bürger- und Studenteninitiativen, die
sich gegen eine Verdrängung ihrer Interessen wehren,
bewusst ist, dass sie nur in „solidarischer Vernetzung der Kämpfe
und der gegenseitigen Unterstützung“ ihren Zielen, nämlich
auskömmlich in dieser Stadt leben zu können, näher kommen können. An Selbstbewusstsein jedenfalls
mangelt es wohl den meisten von ihnen nicht und auch nicht an
Durchhaltewillen, um ihr „Recht auf Stadt“ zu verwirklichen.
Johanna Betz / Svenja Keitzel / Jürgen Schardt / Sebastian Schipper / Sara Schmitt Pacífico / Felix Wiegand (Hg.)
Frankfurt am Main – eine Stadt für alle?
transcript Verlag,
2021, 450 Seiten,
25,00 Euro
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© Christa Tamara Kaul