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Blut- und Hodenideologie

 

 

Die Tiertheater der Grausamkeit  zwischen Berlin, Kassel und Wien

 

Von Goedart Palm  -  2001

 

Fast alles, was wir 'höhere Kultur' nennen, beruht auf der Vergeistigung und Vertiefung der Grausamkeit - dies ist mein Satz; jenes 'wilde Tier' ist gar nicht abgetötet worden, es lebt, es blüht, es hat sich nur – vergöttlicht", meinte Nietzsche in "Jenseits von Gut und Böse". Nun ist die "höhere Kultur" längst an sich selbst müde geworden, die Eingeweihten leben im "inner circle", die Kunst findet wieder vornehmlich im Saale statt – und was Nietzsche trotz Dionysos so nicht prognostizierte: Theater der Grausamkeit, Primärprozess und Abreaktionsspielchen haben sich seit Jahrzehnten einer Kulturnische bemächtigt, die hohe Kunst entsublimiert, die Schutzwälle der höheren Geistigkeit gegen die dunklen Triebe mit Pathos und Getöse niedergerissen. Das System Kunst lässt also auch wieder die Hunde aus dem Keller, die zuvor der Kultur weichen mussten.

 

"Schluss mit den Meisterwerken" hatte Antonin Artaud gerufen. Seinem "Theater der Grausamkeit" sollte die Zukunft gehören, wobei es auch darum ginge zu wissen, "ob ein bisschen wirkliches Blut erforderlich" sei, um wahre Grausamkeit zu zeigen. Geht es nach Wolfgang Flatz gehört sogar sehr viel Blut dazu. Nun hat auch Wolfgang Flatz eine totes Rindvieh fliegen und milde explodieren lassen. The same procedure as every year: ein Ritual als Medienspektakel zwischen Verwaltungsgericht, Presse und moderat erregtem Publikum.

 

Anders als in den wilden 60er Jahren des Orgien- und Mysterientheaters von Hermann Nitsch, Otto Muehl oder Günter Brus will die Entrüstung nicht so richtig laut werden. Selbst die Justiz eignet sich nicht mehr als strenge Sittenpolizei, die zu Kaisers Zeiten noch Postkarten von Meisterwerken inkriminierte, weil sie als Masturbationsvorlagen gefährlich werden könnten. Die Wiener Protagonisten der heidnischen Opferkunst hatten weiland im Dauerbeschuss von Richtern und Staatsanwälten Tiere geschlachtet, geschächtet und gekreuzigt. Unmengen von Tiereingeweiden und -blut ergossen sich über Akteure und Bühnen: eine Kunst, die sich ihrer Herkunft aus der unvordenklichen Zeit der Opferkulte zu besinnen glaubte, aber auch eine Kunst, die ein ambivalentes Verhältnis zu den selbst aus heidnischen Kulten adaptierten Blutmetaphern des christlichen Abendmahls einging. Tieropfer und blutiges Ritual sollten den domestizierten Menschen wieder vom Unbehagen an der Zivilisation befreien und zugleich dieses Unbehagen ausdrücken.

 

Bazon Brock etikettierte die Blutaktion von Flatz nun als die Sehnsucht einer vom Wohlstand verwahrlosten Gesellschaft nach künstlichen Blutorgien. Weil in einer von Krieg und Not befreiten Spiel- und Spaßgesellschaft nichts mehr existenziell bedrohlich sei, müsse der "Ernstfall" in solchen Aktionen nachgespielt werden. Obwohl Brock selbst in den erregten Spektakeln von Fluxus und Neodada groß geworden ist, ist das heute für ihn keine Kunst mehr. Sicher - Flatz ist ein Kunstrecycler von jenen in die Jahre gekommenen Provokationsstandards, die immer weniger Hoffnung auf ein wirklich beteiligtes Publikum eröffnen, von existenzieller Betroffenheit jenseits des Feuilletons ganz zu schweigen. Ob das nun Kunst ist oder nicht, ist heute so Wurscht, wie das Rindfleisch, aus dem sie gemacht ist.

 

Um Bewusstsein gegenüber der geschundenen Kreatur, gegenüber grausamer Naturbeherrschung, die sich als Zweckrationalität tarnt, zu entwickeln, bedarf es kaum mehr der Kunst. Längst haben sich seit den Tagen des Orgien- und Mysterientheaters viele künstlerische Aktionsformen in politische Protestformen gewandelt, die sich den Mythos sparen, um die Sache gleich mit ihrem Namen zu denunzieren. Noch letzten Herbst legten Unbekannte, vermutlich radikale Tierschützer, eine tote Kuh vor das Museum of Contemporary Art in Sidney. Auch ein mit oranger Farbe bemalter, drei Meter langer Tigerhai tauchte in einer Fußgängerzone der australischen Stadt weiland auf, ohne den Betrachter mit der unentscheidbaren Frage zu quälen, ob das nun Kunst oder Tierschutz oder beides zugleich sei.

 

"Bei dem Degenerationszustand, in dem wir uns befinden, wird man die Metaphysik via Haut wieder in die Gemüter einziehen lassen müssen" verkündete Antonin Artaud. Kunst und Metaphysik mutieren heute zur Zivilisationskritik, die bereits von den Boulevard-Zeitungen auf das Vorzüglichste bedient wird: Von BSE, Maul- und Klauenseuche, über die Tierfolterkammern der Pharmaforschung bis zu den elenden Legebatterien für das Frühstücksei sind die Naturmassaker längst in den Dauerfokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt.

 

Tiere ohne Rechte 

 

Und was sagt das tote Rindvieh – der geflatzte Bulle Bodo - auf dem Dach des Schlachthauses "Erde" selbst dazu? "Ich fürchte, die Tiere betrachten den Menschen als ein Wesen ihresgleichen, das in höchst gefährlicher Weise den gesunden Tierverstand verloren hat, - als das wahnwitzige Tier, als das lachende Tier, als das weinende Tier, als das unglückselige Tier" spricht Nietzsche für die Kreatur. Aber wer hört schon auf Tiere? So lautet es zwar in § 1 des Tierschutzgesetzes: "Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerz, Leid oder Schäden zufügen." Gemäß § 3 Nr. 6 TierSchG ist es auch verboten, "ein Tier zu einer Filmaufnahme, Schaustellung, Werbung oder ähnlichen Veranstaltung oder aus künstlerischen Gründen heranzuziehen, sofern damit Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Tier verbunden sind".

 

Aber einfaches Bundesrecht wie das Tierschutzgesetz zieht dann den Kürzeren, wenn es mit der Freiheit der Kunst und des Künstlers aus Art. 5 Abs. 3 GG kollidiert. Die Kunst ist nach dem Grundgesetz frei, aber – in verfassungsrechtlicher Logik – gleichwohl nicht schrankenlos gewährt. Rechte Dritter, hochrangige Verfassungsgüter oder das Sittengesetz können künstlerischem Übermut entgegenstehen. Die Rechte von Tieren sind für Verfassungsjuristen in diesen ungeschriebenen Schranken gleichwohl nicht zu verankern. Allein das Sittengesetz markiert für eine verfassungsrechtliche Mindermeinung eine schwache Auffangposition, die auch einen rechtlichen "Platz für Tiere" eröffnet. Aber was verstößt heute schon gegen die guten Sitten?

 

Bekannt wurde in diesem Zusammenhang die Performance der Kasseler Künstlerin Siglinde Kallnbach, die einen Wellensittich in eine klebrige Eimasse tunkte, sodass die Federn verklebt wurden und das Tier vorübergehend flugunfähig war. Für die Künstlerin sollte das - zum 40-jährigen Jubiläum der Bundesrepublik Deutschland - eine Warnung vor den Gefahren des Neofaschismus sein und zugleich Hinweis auf die Not misshandelter Frauen, Kinder und Andersdenkender. Hermeneutik, ick liebe dir! Was die Künstlerin unter den Klängen der deutschen Nationalhymne präsentierte, brachte ihr zwar eine Strafanzeige wegen Tierquälerei ein. Das Amtsgericht Kassel stellte indes fest, dass die Vorschriften des Tierschutzgesetzes durch die vorbehaltlose Verfassungsnorm der Kunstfreiheitsgarantie ausgehebelt würden, solange der Tierschutz eben nicht verfassungsrechtlich geregelt sei (NStZ 1991, 443 f.). In einem anderen Fall wurden bei einer Theateraufführung Tiere auf offener Bühne getötet. Auch hier mischte sich die Justiz nicht mehr ein, da der Tierschutz – trotz jahrelanger Bemühungen - nicht einmal als Staatsziel im Grundgesetz normiert ist. So kann also die experimentelle Kunst der Tierversuche als Protest gegen die Tierversuche ihr paradoxales Geschäft weiter betreiben, ohne ein geschundenes Rindvieh als Kläger befürchten zu müssen.

 

Wenn auch Tiere nach § 90 a des Bürgerlichen Gesetzbuchs keine Sachen sind, werden sie gleichwohl weiter so behandelt. Der Philosoph Haeckel wies darauf hin, dass seit Descartes (1643) nur der Mensch eine wahre "Seele" und somit Empfindung und freien Willen besitze, dass hingegen die Tiere Automaten, Maschinen ohne Willen und Empfindung seien. Selbst der Universalethiker Kant hatte für das Seelenleben der Tiere wenig Sinn und sein psychologisches Studium auf den Menschen beschränkt.

 

In Verbindung mit einem Kunstbegriff, der sich nicht erst seit Joseph Beuys und dem russischen Proletkult (Kunst = Leben) zur Allzuständigkeit entgrenzt, wird das zu einer brisanten Mischung für die bedrohte Tierwelt. Schon Kurt Schwitters dekretierte: "Alles, was der Künstler spuckt ist Kunst"... und wo man so künstlerisch hinspuckt, da keimen und wuchern die Kunstbiotope auch sogleich. Damien Hirst wurde mit eingelegter Bioware zum Superhai im britischen Kunstkarpfenteich. Aber nicht nur vor Haien in Formaldehyd, auch angesichts kopulierender Rinderkadaver reflektiert der Artist angestrengt über den Tod. Systemtheoretisch heißt das heute nicht viel mehr als: über seine eigene Selbstreproduktion im Kunstsystem.

 

Aber sitzt die Kunst nicht inzwischen selbst wie ein verängstigtes Kaninchen vor der Medienschlange und weiß nicht so Recht, welches bis zur Unkenntlichkeit eingeschrumpfte Tabu morgen noch ein quiekend-quäkendes Lebenszeichen von sich geben wird. "Man nehme einen Bildband über die abendländische Malerei, schlage sein Lieblingsbild auf, durchlöchere mit Hilfe eines scharfen Messers das Buch von rückwärts und zwänge seinen Penis mitten in die abendländische Malerei. Man betrachte 5 Minuten angestrengt die entstandene Montage und denke konzentriert über Kunst nach...nur auf diese Weise ist die Kunst zu retten". Denkste! Otto Muehls Kunstbewusstseinsrettung und Kitzeln am Tabu konnte schon 1966 nicht einmal der Justiz mehr als ein Achselzucken entlocken.

 

Nun könnte man die Blut- und Hoden-Künstler und ihre blutigen Exkursionen ins Tierreich in Schutz nehmen. Wer in süddeutschen Wirtshäusern und Provinzschlössern die abgeknallten Acht- bis Sechzehnender betrachtet, die scheel blickenden Tierköpfe als Wandschmuck über dem Mittagstisch, kann in Flatz und Kollegen allenfalls noch Provokateure gesellschaftlich paradoxer Differenzierungen sehen – unweit auch jener altholländischen Metzger, die sich Tierstillleben malen ließen, um ihrer blutigen Kunst eine höhere beizumischen. All das kommt heute bequem und für den Kunstbetrieb leichtbekömmlich auch ohne das Fundamentalwissen von Adolf Frohner aus: "Blut ist das Fließende. Blut ist Leben und auch Tod. ... Blut ist bei den meisten Lebewesen rot. Blut bedeutet in der russischen Sprache zugleich "schön". Auf diese Weise kommt das Blut schon allein über die Ästhetik in die bildende Kunst... Auch die Künstler schlagen ja Wunden - sie sollen sie schlagen. Wer Wunden schlägt, soll auch Blut sehen können.... Die modernen Medien überschwemmen uns geradezu mit Opfertoten."

 

Eben darum ist das Ritual als Selbstbespiegelung keins mehr. Auch Wolfgang Flatz ist so ein Blutschäumer, obwohl schon genug Blut fließt und geflossen ist, um jenseits seiner metaphorischen Veredelungen dem Bewusstsein noch auf die Sprünge zu helfen. Oder steht er gar in der Tradition der Selbstgeißler, die sich selbst hart für ihre Sünden bestraften, um bei einem zürnenden Gott Gnade zu finden, sie vor der Pest zu verschonen? Artaud gab zwar die Parole "Grausamkeit" aus, aber so Recht wollte er gleichwohl die Identifikation des Schreckens durch den inszenierten Schrecken nicht allein mit Blut markieren: "... man kann sich sehr wohl eine reine Grausamkeit, ohne Zerreißung des Fleisches, vorstellen." Grausamkeit sei "nicht gleich bedeutend mit vergossenem Blut, mit Märtyrerfleisch und gekreuzigtem Feind".

 

Jene Kunst, die dagegen angeblich glaubt, den Teufel durch Beelzebub austreiben zu müssen, sollte darüber reflektieren, warum sie nicht gleich Menschen tötet, um endgültig zu kapieren, dass dem Tabubruch um seiner selbst willen heute längst keine Bewusstseinserweiterung mehr zukommt.

 

 

Original-Artikel-URL:

https://www.heise.de/tp/features/Blut-und-Hodenideologie-3451711.html

 

 

 

© Christa Tamara Kaul