Je denglischer, desto Kompetenz
Warum die meisten Anglizismen
ganz
miese Sprachverhunzer sind
Christa
Tamara
Kaul
Anglizismen sind weiter auf dem Vormarsch. Leider führt das selten zu
sprachlicher Schönheit oder wachsendem Ausdrucksreichtum, sondern eher
zu Kakophonie und Verarmung des Wortschatzes. Aber auch wenn die meisten
Anglizismen überflüssig sind - einige verdienen dennoch die Integration.
Wer die Macht hat, hat das Sagen. Das wurde wohl niemals deutlicher
demonstriert als durch das Imperium Romanum. Latein beherrschte über
Jahrhunderte die offizielle Kommunikation fast der gesamten damals
bekannten Welt. Damit beeinflusste es die Entwicklung der meisten
europäischen Sprachen bis heute unverkennbar. Inzwischen allerdings ist
der American Way of Life angetreten, die Wege in der realen wie in der
virtuellen Welt zu weisen, und damit hat es das Englische – eigentlich
richtiger das Angloamerikanische – zur neuen Lingua franca (d. h. der
allgemein benutzten Verkehrssprache) unserer Zivilisation, also in
gewisser Weise zum Latein der Neuzeit, gebracht. Was schon 1999 Juan
Luis Cebrián in seinem Bericht „Im Netz – die hypnotisierte
Gesellschaft“ an den Club of Rome feststellte und was auf absehbare Zeit
auch so bleiben wird. Ob uns das gefällt oder nicht.
Und so haben wir den Salat: Anglizismen allüberall, die – sagen wir es
einmal möglichst wertfrei – unsere wunderbare Sprache verändern. Viele
nennen es verhunzen oder versauen. Manche fürchten sogar eine
weitgehende Verdrängung des Deutschen sowie anderer Sprachen. Was zwar
im Bereich der Hoch- und Literatursprache nach menschlichem Ermessen
ausgeschlossen, aber im Bereich der Umgangssprache nicht völlig absurd
ist. Schließlich hört sich das opening eines stinknormalen meetings in
Deutschland immer öfter etwa so an: „Änd nau, Mister tschärmän, dier
lädies änd schäntelmänn, ai ännaunz ju werri interesting prisentäschens
änd ai wisch ju ä werri fruitfull diskaschen!“ Viele derer, die nun die
keynote des first referent über sich ergehen lassen, fühlen sich dabei
womöglich als participants eines enorm zukunftsweisenden events, das
sicher in einer hippen location stattfindet. Es sei denn – man oder frau
ist denglischresistent. Doch mit der Resistenz ist das so eine Sache.
Dass die Denglisch-Allergiker keine Phantomdebatte führen, zeigte
Manfred Görlach in seinem 2001 erschienenen „Dictionary of European
Anglicisms”. Anhand der Untersuchung von sechzehn europäischen Sprachen
belegte er, dass Anglizismen im Deutschen, Italienischen, Französischen
und Spanischen am stärksten verbreitet sind, und zwar in dieser
Reihenfolge. Das heißt, dass das Deutsche von allen europäischen
Sprachen tatsächlich am meisten betroffen ist. Unter dem Buchstaben A
der angloamerikanischen Wortübernahmen entfielen prozentual 71,1 Prozent
auf das Deutsche; 68 Prozent auf das Italienische; 63,9 Prozent auf das
Französische und 55,6 Prozent auf das Spanische. Allerdings: Andere
Länder mühen sich redlich, diese Marktführer einzuholen, weshalb
vielleicht Russlands höchstes Gebäude Federation Tower getauft wurde.
Erwähnenswert ist dabei ein oft übersehener Aspekt: Angloamerikanische
Begriffe sind in deutschen Texten ganz überwiegend nicht nur überflüssig
und wenig sinnvoll, sondern werden zu bis zu 70 oder gar 100 Prozent
fehlerhaft verwendet. Gefahren lauern überall: beim Geschlecht (Genus)
und bei den passenden Artikeln ebenso wie bei der Beugung (Flexion) und
Rechtschreibung (Orthographie). Zufallsgeneriertes Beispiel aus dem
Diskussionsforum eines relativ niveauvollen Internet-Magazins: „Schon im
frühen Alter benehmen sich die Kid's genauso wie jüngchen [sic!] in der
Tierwelt.“ Der englische Begriff wird hier ebenso falsch (englische
Genitivform bei kid statt schlichtem Plural-s des Nominativs) gebraucht
wie das Wort „jüngchen“, was wohl „Junges“ bedeuten soll, und das ist
recht typisch: Viele Denglisch-Anwender beherrschen in der Regel keine
der beiden Sprachen.
Weiterlesen im Buch:
Spurensuche: Anglizismus ist nicht gleich Anglizismus
Leifsteil,
Eikätscher änd Sehl: Vom Gefühl her ein gutes feeling