
Simon Strick:
„Rechte Gefühle:
Affekte und Strategien des digitalen Faschismus“
transcript Verlag 2021, 480 Seiten
34 Euro
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Reflexiver
Faschismus
Manipulation
der Öffentlichkeit durch
digitale
Affekte
Christa Tamara Kaul -
September 2021
Springerstiefel und
Glatzen? Das war gestern. Längst präsentiert
sich die äußerste, teils radikale Rechte mit
einem ganz anderen Stil: Modisch angesagt und
digital bestens vernetzt schüren ihre Anhänger
hoch emotional und damit effektiv die
Gefährdungsgefühle einer Gesellschaft, die
tatsächlich etlichen Risiken ausgesetzt ist. Und
präsentieren sich im digitalen Raum dabei oft
selbst in der Opferrolle. Allerdings bietet
diese „alternative Rechte“ keine Lösungen der
Probleme, sondern wird zunehmend mehr selbst zum
Teil der nationalen wie internationalen
Problemlage.
Wie das aussieht, legt der Kultur- und
Medienwissenschaftler Simon Strick in seinem
Buch „Rechte Gefühle“ mit einer umfangreichen
Darstellung und ausführlichen Analyse rechter
bzw. rechtsextremer Agitation dar. Diese
wird oft mit dem Begriff des Populismus
umschrieben, etwa bei Aktionen von Querdenkern
oder Pegida-Demonstranten in Deutschland oder
Anhängern der Alt-Right-Bewegung in den USA.
Alt-Right steht für alternative right,
also alternative Rechte, und ist eine
Bewegung, die anhand von rassistischen,
islamfeindlichen und antisemitischen
Behauptungen die „Identität der weißen
christlichen Bevölkerung“ durch die
multikulturelle Einwanderungsgesellschaft der
USA sowie durch „politische Korrektheit“ und
Gesetze zur Förderung der sozialen Gerechtigkeit
bedroht sieht. Die Mischung aus bürgerlicher
Panik und teilweiser Verrohung, einhergehend mit
dem internetbasierten Kollaps politischer
Kultur, hat sich in den USA etwa 2009 mit dem
Aufkommen der „Tea Party“ als Protest gegen die
Wahl Barack Obamas zu etablieren begonnen.
Ähnliche Gefährdungs- oder gar
Unterdrückungsszenarien werden in Deutschland
durch die AfD etwa mit der Warnung vor einer „Umvolkung“,
also des Austausches der „echten“ Deutschen
durch Zuwanderer, verbreitet.
Zwar basiert der politische Populismus ebenso
wie der Faschismus weitestgehend auf materiellen
und ideellen Verlustängsten und verstärkt
diese gezielt, indem er gern „feindliche“
Minderheiten dafür verantwortlich macht und
nationalistische „Lösungen“ anbietet. Doch
Strick zeigt, dass der Begriff des Populismus,
soweit er zur Beschreibung der rechten
Meinungsmache auf digitalen Plattformen sowie im
öffentlichen Leben verwendet wird, schon längst
nicht mehr geeignet ist, die schwer fassbaren
algorithmischen Strategien und aktuellen
neofaschistischen Schwarmbewegungen zu
definieren.
Es gehe mittlerweile, also in Zeiten des
Internets, weltweit um eine „memetische“
Kriegsführung, die kaum noch etwas mit einer
autoritären Top-Down-Mentalität zu tun habe, bei
der die Massen von aufstrebenden Totalitären
verführt werden. Vielmehr haben sich in den
digitalen Netzwerken „einheimische Faschismen“
als Bottom-up-Bewegungen und benutzergesteuerte
Dynamiken entwickelt, die „führerlos, volatil,
konsumentenorientiert und eingebettet in die
üblichen digitalen Lebenswelten“ durch die
sozialen Medien wabern. Der Faschismus, nach wie
vor von Verlustängsten gespeist, taucht als
Schwarmbewegung von unten wieder auf. Es geht um
einen Kulturkampf mit dem Schwerpunkt
Aufmerksamkeitsökonomie, dem Kampf um die
größten Echokammern im Netz. Was Strick als "reflexiven
Faschismus" bezeichnet.
Dieser reflexive Faschismus ist demnach kein
Symptom, “sondern eine oder viele aktive
Bewegungen. Er ist ein von einigen aktiv
betriebener Wandel der Lebenswelt, der in dieser
(mediensaturierten, kapitalorientierten,
demokratischen) Gesellschaft möglich und
teilweise gewollt ist.“ Symptomatisch dagegen
sind nach Stricks Ansicht aber sowohl die
Protagonisten dieser zeitgenössischen Form des
Faschismus als auch dessen hauptsächliche
Analysten und Gegner: nämlich weiße Männer. „Die
Experten (die in diesem Zusammenhang über den
Angriff auf die Demokratie sprechen) sind
deshalb oft weiß, männlich, westdeutsch und so
weiter, weil diese Position als Verkörperung der
Allgemeinheit und des Konsens gilt. Weiße
männliche Experten für ;Rechtsextremismus’ wie
ich sind in diesem Sinn ein Symptom der
rassistischen und sexistischen Verhältnisse“, so
Strick. Auch und gerade deshalb, weil Menschen
aus marginalisierten Randgruppen mit ihrem
„Theoriewissen, Erfahrungswissen und
Emotionswissen selten bis gar nicht gehört“
würden. Und falls doch, dann aber werde „ihr
Wissen – oft unter dem negativ gemeinten
Stichwort Indentitätspolitik – als feinselig und
mehrheitsbedrohend bekämpft“.
„Initialzündung“ zu seinem Buch sei ein Video
auf Youtube gewesen, so der Autor. In diesem
Video berichtet ein rechtsextremer US-Amerikaner
weinend über „antiweißen Rassismus“, von dem er
sich verfolgt fühle. Das Video ging unter dem
Titel „The Crying Nazi“ viral und stellte dem
bisherigen Bild des knallharten Kämpfers ohne
emotionale Regungen das des gefühligen,
unterdrückten Vaterlandsverteidigers gegenüber.
Spätestens damit wurde klar: Nachhaltigstes
Transportmittel rechter Narrative sind
tatsächlich die im (vorrangig digitalen)
Kollektiv gedeihenden Gefühle. Wenn Menschen
mit Verlustempfindungen auf der emotionalen
Ebene angesprochen und eingebunden werden, wenn
sie sich angenommen fühlen, dann entsteht ein
Zusammengehörigkeitsgefühl, das auch über sonst
vielleicht strittige Ansichten hinwegsieht.
Offensichtlich ein Erfolgsrezept, wie der Zulauf
zu den rechten Echokammern zeigt. Und zwar
eines, das die „Alternative Rechte“ im digitalen
Kosmos weltweit viel geschickter agieren und
besser dastehen lässt, als ihre linken
Widersacher es ihr zugetraut haben.
Und diese kollektiven Gefühle der neuen
Rechten gedeihen besonders üppig durch die „Gamifizierung
des Faschismus“. Das heißt, dass sich
Gleichgesinnte auf Spielplattformen und in
entsprechenden Foren treffen und agieren. „Als
Teil eines gemeinschaftsbildenden
Millionenpublikums lasse sich die „eigene
digitale Unsichtbarkeit’ überwinden“, so Strick.
Wobei diese Gamifizierung entschieden dem
Erklärungsansatz des sogenannten
Lone-Wolf-Terrorismus oder der Einzeltäter*innen-These
entgegen stehe. „Tatsächlich sind
rechtsterroristische Mörder bereits lange vor
ihren Aktionen Teilnehmer an großen
Spielekollektiven, die immersive Gegenwelten
entwickeln … und sich so affektiv
vergemeinschaften.“ Radikalisierung erfolge,
indem an einer kollektiven Erzählform
teilgenommen wird – wie auch umgekehrt die
spielerischen Interaktions- und
Sozialitätsformen der sozialen Netze Menschen in
ihrer Weltwahrnehmung radikalisierten.
Doch so geschickt und modern der aktuelle
Rechtsextremismus auch auftrete, so wenig hat er
sich im Kern vom historischen
Nationalsozialismus entfernt. Die
politischen Eckpunkte und Parameter stimmen bei
beiden im Wesentlichen überein. Dass die
faschistischen Bewegungen nahezu weltweit so
großen Zulauf haben, schreibt Strick dem
Unvermögen vor allem der westlichen Demokratien
zu. „Dieser Faschismus ist … eine Lektion über
die Schwäche der gegenwärtigen Erzählung von
Demokratie, Gesellschaft oder Welt – und gibt
daher Anlass zur grundlegenden Reflexion dieser
Begriffe und ihrer affektiven Aufladungen.“
So stellt sich die nahe liegende Frage: Wie
dem aktuellen Faschismus Paroli bieten? Die
Strategie der Medien, rechten Gefühlsnarrativen
rationale Faktenchecks entgegenzusetzen, hält
Strick spätestens seit Trumps massentauglich
erfolgreicher Einführung von „alternativen
Fakten“ für gescheitert. Und auch die bei
deutschen Demos laut skandierten Parolen gegen
die „Lügenpresse“ bestätigen diese Annahme
offensichtlich.
„Die Lösung gegen diese attraktiven rechten
Gefühlswelten können nur andere Gefühlswelten
sein, die viel heterogener sein müssen,
als wir sie gerade haben“, meinte Strick
dazu in einem Interview. „Es gibt sehr viele
Menschen in Deutschland, die die ganze Zeit
Fremdheitsgefühle haben, weil sie nämlich aus
der Mehrheitsgesellschaft zum Beispiel
rassistisch und sexistisch ausgeschlossen
werden.“ Diese Gefühlswelten müssten integriert
werden, um sich als Gesellschaft von den
extremen Rechten klar abzugrenzen. Viel
konkreter wird er leider auch in seinem
umfangreichen Buch mit der umfassenden
Materialsammlung nicht. Dabei verweist er zu
recht darauf, dass zunächst einmal zu klären
ist, wer „die anderen“ sind – also wir, die
Mehrheitsgesellschaft, die bürgerliche Mitte.
Nur dann können die „anderen Gefühlswelten“
entworfen werden. Wie und wo kann die
Mehrheitsgesellschaft von der extremen Rechten
abgegrenzt werden? Wie lässt sich ein
demokratisches ‚Wir‘ erstellen, das tatsächlich
emotional gegen rechts agieren kann?“ Fragen,
die noch auf klare Antworten warten.
Wer also ein Angebot an Lösungsoptionen
erwartet, wie diese „anderen Gefühlswelten“
konkret gestaltet werden könnten, wird nur
begrenzt fündig. Aber das ist wohl auch die
falsche Erwartung. Denn wenn es praktikable
Lösungen gäbe, wären sie wahrscheinlich schon in
die Tat umgesetzt worden. Das Buch zu lesen
lohnt sich dennoch, vor allem wegen der tiefen,
teils minutiösen Einblicke in das (weltweite)
Spektrum der „neuen Rechten“. Sie lassen dieses
Spektrum besser „verstehen“ – verstehen, was da
gerade falsch läuft. Falsch im Sinne einer
wehrhaften demokratischen Gesellschaft. Und sie
helfen auch, den eigenen Standpunkt klarer zu
erkennen und bekennen und gegebenenfalls zu
verteidigen.
Simon Strick: „Rechte
Gefühle: Affekte und Strategien des digitalen
Faschismus“
transcript Verlag, 2021, 480 Seiten, 34 Euro
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