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 Eine rosige Zukunft sieht anders aus. Jedenfalls wenn die Prognosen
einer aktuellen Studie des Brüsseler „Centre for European Policy
Studies“ (CEPS) zutreffen sollten. Denn dieser Untersuchung zufolge
strebt Deutschland dem wirtschaftlichen Abstieg entgegen – sofern
sich nicht einiges deutlich verändern sollte.
Panta rhei – Leben heißt Veränderung und die Weltwirtschaft wird nach
der Finanzkrise nicht mehr so sein wie zuvor. Das allein sind weder
neue noch weiterführende Erkenntnisse. Das Entscheidende sind
Richtung und Tendenz der Veränderungen: Wohin also tendiert die
Entwicklung, was hat die nächste Generation in Europa zu erwarten?
Darauf versucht das Autorengespann Daniel Gros, Direktor der
CEPS-Forschungsabteilung Wirtschaftspolitik, und Sonja Sagmeister,
Wirtschaftsjournalistin der ORF, in dem Buch "Nachkrisenzeit" eine Antwort zu geben. Gros tritt dabei als (nicht selbst
schreibender) Spiritus Rector auf, der die Texterstellung seiner
Koautorin Sagmeister überlässt. Anhand der von Gros
mitverantworteten CEPS-Studie widmet sich das Buch der weltweiten
Wirtschaftsentwicklung – und zwar in einer jeweils
landesspezifischen Analyse.
Deutschland am Abgrund?
Bei diesen Analysen kommt die Bundesrepublik nicht allzu gut
weg. Dass Deutschland nicht nur als (unfreiwilliger) Förderer der
großen Finanzkrise dasteht, sondern durchaus Gefahr laufe, die
überdrehten Finanzmärkte weiterhin zu beflügeln, ist so völlig überraschend
nicht. Gelten doch die „ständigen Leistungsüberschüsse“ vielen als
einer der Übeltäter weltweiten Kriselns. Zwar hat es hier weder
einen immanent maroden Immobilienboom noch faule Subprime-Kredite
(„zweitklassige“ Kredite für überwiegend private Kreditnehmer mit
geringer Bonität) gegeben, noch ist die Widerstandskraft der
deutschen Finanzwirtschaft im Ganzen gefährdet gewesen, was durchaus
Be- und Verwunderung bei etlichen Nachbarn hervorgerufen hat.
Doch ist laut Gros die Tatsache, dass Deutschland, das
wirtschaftlich stärkste Land Europas, die letzte Weltfinanzkrise
erstaunlich gut überstanden hat, jedenfalls besser als die meisten
anderen Staaten, nur vordergründig so erfreulich, wie es scheint.
Die Arbeitslosigkeit ist hier im Gegensatz zu den USA und vielen
europäischen Ländern kaum gestiegen. Und die meisten Bürger waren
von den Krisenfolgen persönlich kaum oder gar nicht betroffen. Doch
was vielen als positiv oder gar beispielhaft erscheint, sei in
Wahrheit eine Falle, wie Daniel Gros meint. Deutschland müsse seine
Politik im Hinblick auf die Zukunft deutlich verändern. Unter
anderem bei der Finanzpolitik. Womit er streckenweise ähnlich wie
die französische Wirtschaftsministerin Christine Lagarde
argumentiert, wenn auch mit anderer Intention.
Die hatte gefordert, dass Berlin die Steuern senken und so den
Konsum kräftig ankurbeln müsse, damit die Deutschen mehr Produkte
aus dem Ausland kauften. Wobei sie selbstverständlich an den Kauf
französischer Produkte gedacht hat. Der deutsche Handelsüberschuss
gefährde die Wettbewerbsfähigkeit anderer Staaten in der Euro-Zone.
Grundsätzliche Unterstützung dieser These lieferte auch Dominique
Strauss-Kahn, Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) und
Landsmann von Lagarde. Länder wie Deutschland oder China sowie die
Öl exportierenden Nahostländer müssten ihre Binnennachfrage stärken.
Dies gebiete der Kampf gegen globale Ungleichgewichte.
Keine Rücksicht auf die Langsamsten
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat solche Forderungen
allerdings umgehend zurückgewiesen. "Dort, wo wir stark sind,
werden wir unsere Stärken nicht aufgeben", sagte sie am 14.04.2010
im Bundestag. Ihre Regierung werde eine Politik betreiben, die die
Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands nach vorne bringe. Es sei falsch,
sich nach demjenigen zu richten, der am langsamsten sei.
Tatsache ist, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands seit
der Euro-Einführung erhöht hat. Denn früher konnten europäische
Länder ihre Währung einfach abwerten und so ihre Produkte künstlich
billiger machen. Die europäische Gemeinschaftswährung aber erzwingt
einen Konkurrenzkampf auf gleicher Ebene. Was Produkten aus
Deutschland – einem Land mit traditionell harter Währung – zum
Vorteil gereicht.
Das allein erklärt aber nicht völlig die relative Krisenfestigkeit
der deutschen Wirtschaft. Einen wichtigen Beitrag haben da etliche
Strukturänderungen geleistet, allem voran die
Hartz-Arbeitsmarktreform. Dadurch wurde das Land international
wettbewerbsfähiger. Andere Länder wie Frankreich oder Griechenland
haben keine vergleichbaren Neuerungen in Angriff genommen, was sie
im aktuellen internationalen Vergleich schlechter dastehen lässt –
und zu Klagen und Kritik an Deutschland geführt hat.
Deutschland ist als Exportmacht aus dieser Sicht „einfach zu
erfolgreich“. Der ständige Leistungsüberschuss mit seinem „Übermaß“
verfügbaren Geldes hat zwar das deutsche Bankensystem relativ gut
durch die Krise manövriert. Doch eben auch zur Krise beigetragen.
Die enorme Summe an Sparkapital, das vor allem von ungezählten
„kleinen“ Sparern kommt, konnte und können die Sparkassen und Banken
nicht vollständig in Kredite weiterleiten. Daher wurde und wird das
überschüssige Geld an die Landesbanken weitergegeben, „in der
Hoffnung, dass die es sinnvoll investieren“. Was aber nicht nur ein
partieller Fehlschluss war, sondern auch generell nicht so einfach
ist, wenn der Finanzmarkt von Milliarden überschwemmt und
unübersichtlich wird.
Die Folge ist bekannt: Jede Menge Geld ist in Island, im Baltikum,
in Spanien und weiteren Staaten in fragwürdige Investitionen
gesteckt worden, die dann im großen Katzenjammer jener Ländern mit
maroder Immobilienwirtschaft und faulen Subprime-Krediten
untergegangen ist. Aufgrund dessen sieht (nicht nur) Gros
Deutschland in einer indirekten Mitverantwortung für das
internationale Finanzmassaker. Ob nun operative Mitschuld oder
nicht, auf jeden Fall wird die deutschen Steuerzahler die noch nicht
voll abzuschätzende Verschuldung aufgrund der Staatsgarantien zur
Reparatur der wirtschaftlichen Verwerfungen höchstwahrscheinlich
teurer zu stehen kommen. Und das in einer Zukunft, die laut Gros und
CEPS-Studie Deutschland im wirtschaftlichen Sinkflug begriffen
sieht.
Im unteren Drittel des EU-Rankings
Es klingt zunächst paradox, wenn prognostiziert wird, dass
Deutschland gerade deshalb um seine Wirtschaftkraft und –macht
bangen müsse, weil hier außer bei ein paar Banken und
Exportunternehmen keine größeren Defizite zu verzeichnen waren, die
deutsche Wirtschaft sich also weitgehend als krisenresistent
erwiesen hat. Doch diese auf langjähriger Tradition, vor allem auf
dem Exporterfolg beruhende Standfestigkeit habe das Land längst
„alt, satt und behäbig“ werden lassen. Selbst durch die weltweite
Krise ist es daher nicht zum radikalen Umdenken gezwungen worden.
Das aber, ein radikales Umdenken, sei dringend erforderlich, solle
Deutschland in der nächsten Generation nicht "zum Land der
Hilfsarbeiter“ mutieren und bis 2040 womöglich hinter das derzeit
noch schwache Polen zurückfallen. Als Schwachpunkte zukünftiger
Entwicklung werden ausgerechnet jene Merkmale angesehen, die bisher
die traditionelle Stärken waren – die Facharbeitertradition und
Spezialisierung auf Industriegüter. Doch ausschlaggebend werden
zukünftig andere Bereiche sein.
Nun lehrt der Blick auf die osteuropäischen Länder derzeit nicht
gerade das große Fürchten. Doch das könnte sich leicht ändern:
„Deutschland wird im Jahr 2040 nur noch im unteren Drittel des
EU-Rankings gelistet sein. … Den Deutschen geht es wirtschaftlich
nicht jedes Jahr schlechter. Aber: Andere Länder wachsen schneller.“
Vor allem im überlebenswichtigen Bildungssektor.
So richtig stichhaltige Belege für seine These liefert Gros zwar
nicht, wohl aber nennt er einige Anhaltspunkte und Kriterien, die in
diese Richtung weisen. Und benennt – neben einer den Konsum
befeuernden Steuersenkung – vor allem eins als unabdingbares Moment:
– eine gründliche Reform des Bildungssektors.
Bildung als entscheidendes Zukunftsmerkmal
Die Forderung lautet: Deutschland muss mehr Akademiker ausbilden,
besonders Ingenieure. Fast nirgendwo in Europa seien so wenige
Arbeitskräfte in Kindergärten, Schulen und Universitäten beschäftigt
wie in Deutschland. Mit einer Quote von sechs Prozent liege
Deutschland weit hinter Großbritannien mit neun und Polen mit sieben
Prozent. Es gebe zu viele Schulabbrecher und zu wenige
Uni-Absolventen. Verknüpfe man die Akademikerquote mit den
Resultaten der Pisa-Studie, liege sogar Warschau vor Berlin. „Jeder
fünfte 15-jährige Deutsche kommt heute nicht über das
Grundschulniveau hinaus.“
Das alles stimmt. Leider. Dennoch zeigt sich hier schließlich, dass das, was
zunächst nach Schocktherapie aussah, so erschreckend dann doch nicht
ist. Weil es nicht neu ist. Mehr oder minder Bekanntes wird nur
noch einmal stramm, dabei aber durchaus unterhaltsam zusammenfasst, was zweifellos die
Dringlichkeit politischen Handelns, allem voran einer Bildungsreform, drastisch verdeutlicht.
Doch
erkannt ist das Problem längst, auch von der Politik. Die Frage ist
eben, ob
die richtigen Steuerungskorrekturen zügig in die Wege geleitet werden.
Alles in allem: Wer bislang nicht viel von der Finanzmarktkrise
mitbekommen oder sie nicht verstanden hat, bekommt hier einen locker
geschriebenen, leicht zu verstehenden Nachhilfeunterricht. Und dabei
dürfte für die meisten Leserinnen und Leser der Blick
auf die Wirtschaftsentwicklung der USA und Chinas und deren
problematische finanzielle Verquickung der weitaus interessantere,
weil allgemein weniger bekannte Teil des Weltgeschehens und damit
auch dieses Buches sein.
Spannend auch der Versuch, in die Zukunft zu blicken, wo die "Kinder
der Welt-Eliten" zukünftig womöglich nicht mehr in den USA, sondern aus
Prestigegründen an Universitäten der neuen Supermacht China
studieren werden. Und wo Afrika vom
Selbstbedienungsladen der Welt zur neuen Boom-Region aufsteigen
wird.
Kleine Ärgernisse
In Klappentext, Vorwort und etlichen Buchpassagen der Koautorin wird
Daniel Gros als „hoch renommierter Wirtschaftsexperte" sowie als "Vor-
und Querdenker“ gepriesen. Das sind ebenso beliebte
wie nichtssagende, also überflüssige Titulierungen. Zudem weckt
hochgradiges (Eigen)Lob eher Misstrauen. Es langt vollkommen, wenn
jemand tatsächlich denkt. Und das tut Gros durchaus. Was allerdings nicht
einige kleinere Merkwürdigkeiten ausschließt. Wie etwa auf der Seite
153 in dem Kapitel über Deutschland, wo „Bankbeamte“ auftauchen.
(„Viele Bankkunden …. haben den Bankbeamten blind vertraut.“) Die
aber, die Bankbeamten, gibt es in Deutschland nicht, jedenfalls
nicht bei
Sparkassen und Banken, sondern allenfalls bei der Bundesbank.
An die aber kommen Privatkunden, von denen in dem Textabschnitt aber ganz
eindeutig die Rede ist, geschäftlich überhaupt nicht ran. Auch
wurden vom Lektorat ein paar stilistische und
grammatikalische Patzer übersehen. Nun verändern solche
Misslichkeiten
zwar weder Inhalt noch Intention des Buches, fallen aber doch beim
Lesen auf.
Daniel Gros/Sonja Sagmeister: Nachkrisenzeit. Wie die erfolgreichste
Denkfabrik Europas unsere Welt für die nächste Generation sieht,
2010, Verlag Ecowin, Salzburg, ISBN 978-3-902404-84-8
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