Felicitas
Hoppe: Johanna
Die eigene
Angst und der Traum vom Leben
Von
Christa
Tamara
Kaul - 2006
Um es vorweg zu nehmen: Felicitas Hoppes „Johanna“ präsentiert sich in
einer rhythmischen, scheinbar leicht sprudelnden, manchmal sogar
übermütig wirkenden Sprache voll phantasiereicher Wendungen. Ein leicht
zu lesendes Buch ist es aber keineswegs.
Auch wenn es durchaus eine
Handlung besitzt, so wird die Geschichte doch nicht im üblichen Sinn
erzählt, sondern kunstvoll gewebt zu einem bildreichen Textteppich aus
historischen Fakten, zeitgenössischen Assoziationen, Sprachspielereien,
literarischen Zitaten, bisweilen unverständlichen Andeutungen, mit
Sprüngen und Verwebungen zwischen den unterschiedlichen Handlungsebenen.
Das bietet alles in allem viel lustvolles Lesevergnügen, streckenweise
aber auch Angestrengtheit, Überdruß und Ermüdung. Vor allem erfordert
es, auch wenn man sich nach den ersten zehn, fünfzehn Seiten in den sehr
eigenen Hoppe-Stil eingelesen hat, immer volle Lesekonzentration.
Im Mittelpunkt stehen zwei Frauen, die historische Johanna von Orléans
als Titelfigur und eine junge, unbenannte Historikerin, die über diese
geschichtliche Figur promoviert. Die historische Johanna wurde 1412 als Jeanne d’Arc in
Lothringen geboren und führte1430, im Verlauf des Hundertjährigen
Krieges zwischen Frankreich und England, die Franzosen siegreich in die
Schlacht gegen die Engländer, nachdem sie zuvor Visionen von Heiligen
und Erzengeln hatte. Als sich bald darauf das Schlachtenglück durch
Verrat wendete, wurde sie 1431 in Rouen mit vorgeschobenen
Anschuldigungen von ihren eigenen Landsleuten als Ketzerin auf dem
Scheiterhaufen verbrannt. Allerdings stieg sie nach 1456, als ihre Ehre
durch einen Revisionsprozess wiederhergestellt worden war, schnell zur
Nationalheldin Frankreichs und, sehr viel später, nämlich 1920, auch zur
Heiligen der katholischen Kirche auf.
Generationen von Historikern, aber auch von Schriftstellern hat das
Schicksal der jungfräulichen Heerführerin beschäftigt und zu großen
Werken angeregt. So schrieben etwa Voltaire "La Pucelle d'Orléans",
Friedrich Schiller "Die Jungfrau von Orléans", George Bernard Shaw „Die
heilige Johanna“, Jean Anouilh „L'Alouette“ und Bertolt Brecht die
Klassenkampfparabel „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“. Allzu viel
Erhellendes und Spannendes ist von einem weiteren Historienspektakel
daher kaum zu erwarten.
Doch Felicitas Hoppe geht die Sache anders an, sie verzichtet auf eine
biographische Rekonstruktion der kriegerischen Jungfrau ebenso wie auf
eine Neudeutung deren geschichtlicher Rolle, sie schreibt also keinen
Historienroman. Erzählt wird aus der Perspektive der namentlich nicht
benannten jungen Historikerin, die über die französische Nationalheldin
promoviert, wobei die beiden Lebensstränge laufend miteinander verwoben
werden. Mit diesem Kunstgriff bringt die Autorin eine Fülle historischer
Fakten, die sie anhand der überlieferten Prozessprotokolle recherchiert
hat, detailliert in das Buch ein. Allerdings werden wir dabei weniger
lesende Begleitung historischer Abläufe – die sich ohne wenigsten
ungefähr vorhandene Sachkenntnis aus diesem Buch auch nicht erschließen
– als vielmehr Beobachter allgemein gültiger menschlicher Verfasstheit,
Beweggründe und Sehnsüchte, die der geschichtlichen Figur ebenso zu
Eigen sind wie den Menschen der Gegenwart. Allem voran stellt Hoppe
immer wieder die Angst, die Gegenspielerin des von Johanna unbeirrt
gelebten Gottvertrauens
Angst behindert, vermeidet, bremst, zieht herunter. Rührt an
Existenzfragen. „Nur wer glaubt, dass Gott hört, kann ihn bündig
verleugnen. … Ohne Gott auch kein Gegner, die Wut geht ins Leere. Wir
bleiben zurück und schwimmen im Tümpel der Angst vor uns selbst.“
Mindestens genauso oft aber treibt Angst an, treibt voran, weiter, sorgt
für Entwicklung, beschleunigt die Suche nach dem Sinn des Lebens.
Exemplarisch dargeboten in den Promotionsszenen der jungen Historikerin,
Szenenskizzen, die mit ihren ausgedehnten Analogien zu den
Inquisitionsverhören Johannas – trotz einer gewissen Überstrapazierung –
zu den intensivsten Passagen des Romans gehören. "Nicht die Prüfung ist
schrecklich, schrecklich ist nur die Prüfung davor. Die Nacht davor und
der Morgen davor." Allein die Annahme der Angst scheint helfen zu
können: “Wenn die Angst bei mir ist, habe ich keine Angst.“
Und so ist das Buch, unabhängig von allen akribisch recherchierten
historischen und geschichtswissenschaftlichen Bezügen letztendlich ein
geschichtsloses Buch, in dem es vor allem um eines geht: „Nämlich. Ums
Ganze. Nicht um links oder rechts, sondern um oben und unten, um Himmel
und Hölle. Und um die Angst vor der Sache dazwischen, die man gemeinhin
DAS LEBEN nennt. Das Fegefeuer. Das kleine Feuer dazwischen, das dafür
sorgt, dass es überall immer nach Rauch riecht, zitternde Flammen,
nervöse Geschwister, obwohl wir von morgens bis abends mit Waschen und
Bügeln beschäftigt sind.“
Felicitas Hoppe: Johanna, S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main,
2006, ISBN 3-10-032450-1, 17,90 €