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"Licht der Welt"

 


Papst Benedikt XVI. und die Zeichen der Zeit

 

 

Von Christa Tamara Kaul       -      2011

 

 

Variationen zum Thema Kondomgebrauch, die Rücktrittsoptionen eines Papstes und die Missbrauchsfälle in Kircheneinrichtungen – das sind die Reizthemen des neuen Buches von Benedikt XVI, die sofort für Schlagzeilen sorgten. Zugegeben, sie bieten eine gewisse Sensation. Doch das Buch bietet weitaus mehr, nämlich essentielle Überlegungen zu Welt, Kirche und Gesellschaft. Wer es gelesen hat, wird so manches, was bisher von und vor allem über Benedikt XVI. geäußert wurde, anders sehen als zuvor. Nicht zuletzt die Bedenken gegen etliche Aspekte der Moderne. Und das nicht, weil der Pontifex total neue Standpunkte beziehen würde, sondern vielmehr, weil hier seine Anliegen klar, plausibel und allgemein verständlich zum Ausdruck kommen – unbeeinträchtigt von abgehobener Enzyklikenprosa und medial verzerrten Interpretationen.

Klar, es war vor allem die Aussage, dass unter bestimmten Bedingungen der Gebrauch von Kondomen zulässig, weil das kleinere Übel sei, die für das größte Aufsehen sorgte. Das wurde von vielen als nahezu revolutionäre Wendung der offiziellen Haltung der katholischen Kirche zum Thema Aids-Bekämpfung angesehen. Was es aber nur bedingt ist. So viel oder so wenig wie umgekehrt der eine Satz, der zu Beginn der Afrikareise 2009 für Aufruhr sorgte, dass nämlich das Aids-Problem nicht durch Kondome gelöst werden könne. Was medial so interpretiert wurde, als sei jeglicher Gebrauch kirchlicherseits untersagt, und dem Vatikan den Vorwurf brachte, er konterkariere eine effektive Aids-Bekämpfung. Dagegen wehrt sich Benedikt vor allem mit dem Hinweis, dass keine andere Institution so viele Aidskranke und insbesondere an Aids erkrankte Kinder in ihren Einrichtungen behandle wie die katholische Kirche. Dass sie mehr tue als jene, die nur von „der Tribüne der Zeitung“ aus redeten. Und dass eben die Duldung des Einsatzes von Kondomen ein „erster Schritt zu einer anderen Sichtweise, einer menschlicheren Sexualität“ sein könne.

Was allerdings innerhalb der Kirche prompt für Differenzen sorgte. Während auf der einen Seite viele, etwa die Basisorgansisation
Wir sind Kirche, es begrüßen und als ersten Schritt ansehen, sich mit der Realität von Sexualität auseinander zu setzen, machte sich im ultrakonservativen Lager Empörung breit, so dass sich die Glaubenskongregation genötigt sah, mit einer Note einige Textpassagen klarzustellen. Alles in allem ist die aktuelle Stellungnahme Benedikts aber keine grundsätzliche Neuorientierung der Amtskirche, da nur die Aidsbekämpfung angesprochen ist. Als Empfängnisverhütungsmittel gelten Kondome nach wie vor als tabu. Auch wenn sich kaum jemand daran hält.
 

Papstrücktritt


In ihrer Klarheit dagegen tatsächlich neu ist die Erklärung, dass ein Papst nicht nur das Recht, sondern unter bestimmten Umständen sogar die Pflicht habe zurückzutreten. Das war zuvor so nie gesagt, schon gar nicht praktiziert worden.

Aufgekommen war die Rücktrittsfrage Anfang 2009 im Zusammenhang mit der „Williamson-Affäre". Damals erschien einigen antiklerikalen Fundamentalgegnern die Gelegenheit gekommen, den Rücktritt des Papstes zu fordern. In diesem Zusammenhang stellt Benedikt abermals und unmissverständlich klar, dass er 2009 die Exkommunikation des Bischofs Richard Williamson von der erzkonservativen Piusbruderschaft nicht zurückgenommen hätte, wenn er über dessen Holocaustleugnung informiert gewesen wäre. Der Fall sei ein "Super-Gau" gewesen. „Aber leider hat niemand bei uns im Internet nachgeschaut und wahrgenommen, um wen es sich hier handelt."

An Rücktritt habe er allerdings in diesem Zusammenhang nie gedacht, im Gegenteil, und hier zeigt er sich als Kämpfer, denn: „Wenn die Gefahr groß ist, darf man nicht davonlaufen. … Gerade in so einem Augenblick muss man standhalten und die schwere Situation bestehen. … Zurücktreten kann man … wenn man einfach nicht mehr kann. Aber man darf nicht in der Gefahr davonlaufen und sagen, es soll ein anderer machen.“

Bei der Gelegenheit bekommt auch gleich noch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die wegen der „Williamson-Affäre“ öffentlich eine Klarstellung zum katholisch-jüdischen Verhältnis gefordert hatte, ihr Fett weg. Merkel sei ganz offenbar nicht darüber informiert gewesen, dass er erst kurz zuvor jede Leugnung oder Verharmlosung der Schoa mehrfach für inakzeptabel erklärt hatte. Was unter anderem in den Annalen von Radio Vatikan nachzulesen ist.
 

Die Missbrauchsfälle


Die bisher schwerste Belastung seiner Amtszeit kam auf Benedikt mit dem Bekanntwerden der vielen Missbrauchsfälle in Einrichtungen der katholischen Kirche zu. Auch wenn sich nahezu alle Fälle Jahrzehnte vor seinem Pontifikat ereigneten, so wird die Verarbeitung dieser schwerwiegenden Vergehen und ihrer Folgen, nicht zuletzt die deutlich angestiegenen Kirchenaustritte in Deutschland, ohne sein persönliches Verschulden zwangsläufig mit seinem Pontifikat in die Analen eingehen. „Priester" ist derzeit weithin zu einem ähnlich verächtlichen Wort wie „Banker" geworden. In manchen Kreisen Deutschlands gehört es mittlerweile geradezu zum guten Ton, gegen Kirche, Papst und Priester zu sein, jedes katholische Engagement unter Generalverdacht zu stellen.

Dagegen wehrt sich Benedikt, ohne dabei die Verbrechen klein zu reden. Mit Erschrecken und tiefer Beschämung habe er die Missbrauchsproblematik zur Kenntnis genommen. „Das Priestertum plötzlich so verschmutzt zu sehen, und damit die katholische Kirche selbst, in ihrem Innersten, das musste man wirklich erst verkraften.“ Doch wo liegen die Ursachen? „Das ist eine Frage, die wirklich das „mysterium iniquitatis“, das Geheimnis des Bösen, berührt, wo man sich auch fragt: Was denkt sich so jemand, wenn er am Morgen an den Altar geht und das heilige Opfer feiert?“

Für die einst nicht enden wollenden Schlagzeilen mit dem Tenor „Papst schweigt zu Missbrauchsfällen“, weil er nicht jeden einzelnen Fall kommentierte, hat er allerdings wenig Verständnis, denn: „Ich meine, dass einerseits das Wesentliche wirklich gesagt wurde.“ Und dass das beispielsweise in seiner sehr ausführlichen Stellungnahme zum Missbrauch in Irland Gesagte generell und auch für alle anderen Fälle gelte, sei „doch eigentlich klar“ gewesen.  Aber, so Benedikt: „So wenig wir das Böse minimieren dürfen, so sehr wir es leidend anerkennen müssen, so sehr müssen wir doch auch dankbar sein und sichtbar machen, wie viel Licht von der katholischen Kirche ausströmt. Es würde zu einem Kollaps ganzer Lebensräume führen, wenn sie nicht mehr da wäre.“
 

Zerstörerische Aspekte der Moderne


So beschämend wie öffentlichkeitswirksam diese spektakulären Krisen auch (gewesen) sein mögen, so sind es doch andere Themen, die Benedikt noch tiefer, weil fundamental beunruhigen: Es sind dies einige von ihm immer wieder thematisierte Erscheinungen der Moderne, etwa der unverantwortliche Umgang mit der Schöpfung, der „praktische Atheismus“ der westlichen Welt, die falsch verstandenen Formen von Fortschritt und Freiheit, aber auch und besonders Tendenzen der zeitgenössischen Philosophie, die dem Menschen die Wahrheitsfähigkeit absprechen und keinen Gottesbezug im gesellschaftlichen und politischen Leben zugestehen wollen.

Diese Gottabgewandtheit und die daraus resultierende, vielfach zitierte „Diktatur des Relativismus“ wirke zerstörerisch auf die Menschen und die Gesellschaft. Denn ohne eine auf Gott hin ausgerichtete Ordnung habe „die Freiheit keine Maßstäbe mehr“. Daher gelte es wieder zu „erkennen, dass wir nicht einfach in der Beliebigkeit leben dürfen. Dass Freiheit nicht Beliebigkeit sein kann. Dass es gilt, eine Freiheit zu lernen, die Verantwortung ist“.

Der Maßstab aber, wie Freiheit verantwortlich zu leben sei, der könne nur von Gott kommen. Freilich könne und dürfe auch die göttliche Wahrheit nicht mit Gewalt durchgesetzt werden. Denn: „Dass die Wahrheit nicht durch Gewalt zur Herrschaft gebracht wird, sondern durch ihre eigene Macht, ist der zentrale Inhalt des Johannes-Evangeliums.“ Und: „Die Wahrheit muss immer mit Toleranz einhergehen.“ Es ist die Aufgabe der Kirche, diese Wahrheit zu verkünden und zu ihr zu stehen. Insoweit ist sich Josef Ratzinger in seinen grundlegenden Ansichten treu geblieben.

Zu den aufschlussreichsten und auch berührendsten Passagen zählen die Ausführungen zur Ökumene und seinen persönlichen Erfahrungen im Dialog mit den anderen Weltreligionen. Erfreulich dabei Benedikts Verständnis von Toleranz, die auch jeden Wechsel von Religion bzw. Weltanschauung dulden müsse, sowie seine Verurteilung jeder aggressiven Haltung anders Denkenden gegenüber, nicht zuletzt von Seiten eines aggressiven Säkularismus. Was entgegen bisweilen anderen Unterstellungen aber auch keineswegs neu ist.
 

Vieles nicht neu, aber manches in neuem Licht


Wer in der Vergangenheit den Äußerungen Josef Ratzingers genauer zugehört hat, wird in dem Buch also mehr oder minder bekannte Standpunkte wiederfinden. Beispielsweise auch, dass er das Amt nicht angestrebt hat und es durchaus als Bürde, als Anstrengung empfindet, die er nur mit Gottes Hilfe bewältigen kann. Benedikt macht kein Geheimnis daraus, dass er im Grunde seines Herzens lieber Professor geblieben wäre. Die Laufbahn vom Professor zum Bischof, zum Kardinal und Präfekten der Glaubenskongregation und am Ende sogar zum Papst war nicht seine Traumkarriere. Doch er hat sie akzeptiert, weil er sein Leben grundsätzlich Gott zur Verfügung gestellt hat. Und gerade diese Bescheidenheit, gepaart mit seiner hohen Intellektualität und den darauf beruhenden geistlichen und strukturellen Anstößen, weist ihn, trotz der aufgrund seines hohen Lebensalters naturgemäß recht kurz bemessenen Amtszeit, schon jetzt als für die Kirchengeschichte wichtigen Papst aus.

 

Vieles, was eigentlich schon bekannt ist, gewinnt durch die Klarheit der Antworten durchaus eine neue Qualität. Bedingt durch die Fragen Peter Seewalds ergeben sich zwar einige Redundanzen, denen eine Straffung gut getan hätte. Dennoch zeugt das Gespräch von Lebendigkeit, hinterlässt den Eindruck: Und sie bewegt sich doch, die Una Sancta Catholica. Wenn auch nicht unbedingt dem hektischen Tempo der üblichen Alltags- und Medienwelt. Und wenn auch nicht alles zustimmungspflichtig ist. Gott sei Dank.

Es zeigt sich, dass die vom Zweiten Vatikanum empfohlene Beachtung der „Zeichen der Zeit“ substantiell umgesetzt wird. So manche „Zeichen der Zeit“ sind richtig gedeutet geworden.
Wenn auch noch nicht alle. So besteht beispielsweise für eine Frauenordination derzeit noch immer keine Chance, weil, wie der Pontifex meint, das Oberhaupt der katholischen Kirche dazu "keine Vollmacht" habe. Christus habe der Kirche mit den zwölf männlichen Aposteln nun mal "eine unverrückbare Gestalt" gegeben. Doch das sei keine Diskriminierung, da das Priestertum nicht Herrschaft, sondern Dienst sei. Nein, mit Verlaub, "eine unverrückbare Gestalt" wurde so nicht gegeben, sondern lediglich eine Gestalt, die der jüdischen Gesellschaft vor 2000 Jahren entsprach und die nirgendwo dogmatisch vorgegeben oder festgeschrieben ist. Also heißt es wohl, auf weitere, noch deutlichere Zeichen zu warten, auf dass in Rom auch diese Haltung irgendwann als nicht ewigkeitstauglich erkannt werde.


Benedikt XVI: Licht der Welt – Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit

Ein Gespräch mit Peter Seewald

Herder Verlag, 2010, 19,95 Euro
ISBN 978-3-451-32537-3

 

 

 

© Christa Tamara Kaul