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Die Arminiusschlacht
Gründungsmythos und
Urknall deutscher Geschichte
Christa Tamara Kaul
- Mai 2009
Gleich drei geschichtsträchtige Jubiläen
hält das Jahr 2009 für Deutschland bereit – vor 20 Jahren fiel die Berliner Mauer, vor 60 Jahren wurde die
Bundesrepublik Deutschland gegründet und vor 2.000 Jahren besiegte der Cheruskerfürst Arminius drei römische Legionen unter ihrem sieggewohnten
Feldherrn Quintilius Varus – und löste damit den Urknall deutscher
Geschichte und Identität aus.
Eigenartigerweise taucht immer wieder die Neun im Datum von Deutschlands
geschichtsprägenden Ereignissen auf: 9. November 1918 – Ausrufung der
ersten deutschen Republik, 9. November 1938 – Reichspogromnacht, 1949 –
Gründung der Bundesrepublik Deutschland, 9. Oktober 1989 – die
entscheidende Leipziger Montagsdemonstration und schließlich der 9.
November 1989 – Fall der Berliner Mauer.
Ihren
fulminanten Einstand jedoch gab die Neun schon vor 2.000 Jahren, und
zwar an einem Ort, den Tacitus den „Wald bei der Teutoburg“ nannte. Es
war so etwas wie der Zeugungsakt deutscher „Volkswerdung“, fachlich
Ethnogenese, als im Jahr 9 n.Ch. Arminius, der in Rom erzogene und zum
römischen Offizier ausgebildete Germanenfürst, die bis dahin
siegesverwöhnte römische Armee unter ihrem Feldherrn Quintilius Varus so
vernichtend schlug, dass Kaiser Augustus, wie uns der römische
Geschichtsschreiber Sueton überliefert hat, ausgerufen haben soll: „Quintili
Vare, legiones redde!“ (Quintilius Varus, gib die Legionen zurück!).
Damit ging Arminius alias Hermann der Cherusker über Jahrhunderte als
Symbolfigur nationaler Identität in die Geschichte ein.
Was es mit diesem Gründungsmythos auf sich hat, das untersucht der
Althistoriker Michael Sommer in seinem jüngsten Buch „Die
Arminiusschlacht – Spurensuche im Teutoburger Wald“. Dabei geht er auch
der immer wieder Erstaunen weckenden Frage nach, wie es Arminius
überhaupt geschafft hat, mit seinen losen Verbänden von Stammeskriegern
der damals stärksten Armee der Welt eine solch verheerende Niederlage
zuzufügen. Für seine Publikation wählte Sommer bewusst den Titel „Die
Arminiusschlacht“ – und nicht etwa Varusschlacht – und begründet es
damit, dass der römisch erzogene Germane Arminius schließlich die
Hauptfigur des Geschehens sei. Ohne ihn und seinen unbedingten Willen
zur Macht hätte es keine Schlacht und kein römisches Fiasko gegeben,
ohne ihn wäre das rechtsrheinische Germanien womöglich römische Provinz
geworden und geblieben.
Fest steht, dass durch diese Niederlage endgültig der römische Versuch
scheiterte, Magna Germania (großes Germanien) komplett und dauerhaft zur
römischen Provinz zu machen. Wobei als Magna Germania oder Germania
Magna um die Zeitenwende der von Rom nur teilweise erkundete und nur
zeitweilig besetzte Teil Germaniens rechts des Rheins bis zur Elbe und
nördlich der Donau mit der südöstlichen Grenze an der Moldau bezeichnet
wurde. Doch obwohl dieses Gebiet – im Gegensatz zu Gallien – niemals
wirklich von ihnen beherrscht wurde, sahen die Römer es aufgrund
punktueller Erfolge bis zur Varusschlacht dennoch als Teil ihres
Imperiums an. Allerdings weist Michael Sommer zu Recht darauf hin, dass
die Frage, ob Germanien rechts des Rheins jemals zum Imperium Romanum
gehörte oder nicht, relativ nachrangig ist, da die Macht des Imperiums
ohnehin nicht abrupt an sichtbaren Grenzlinien wie dem Limes endete,
sondern an den territorialen Rändern allmählich auslief. Darüber hinaus
finden sich in den Quellen teilweise unterschiedliche Angaben, die
möglicherweise unterschiedliche Interessenlagen bedienten. Die
Quellenlage ist vor allem insofern bemerkenswert, als mehrere, teils
sehr ausführliche Beschreibungen und Interpretationen des Geschehens,
aber keine Augenzeugenberichte vorliegen.
Die beiden Protagonisten
Zwar ging Quintilius Varus aufgrund der Niederlage im Teutoburger Wald
als Verlierer in die Geschichte ein. Und übereinstimmend kritisierten
alle römischen Kommentatoren – nach der Schlacht – seine mangelnde
Qualifikation. Doch bis zu diesem Geschehen war sein Lebensweg eine
makellose Erfolgsgeschichte. Der um 46 v. Chr. geborene Politiker
entstammte einer zur Oberschicht gehörenden Familie und war durch die
Heirat mit einer Großnichte des Kaisers Augustus mit dem
julisch-claudischen Kaiserhaus verschwägert. Er gehörte also „zum
engsten Zirkel mächtiger Männer um Augustus“, zumal er zügig die
römische Ämterhierarchie, den so genannten cursus honorum bis zum Konsul
durchlaufen hatte. Damit hatte er sich für höchste Kommandostellen in
den Provinzen qualifiziert und wurde folglich zum Verwalter der
Provinzen Afrika und Syrien und schließlich Germanien berufen. Gerade
für die besonders wichtigen Provinzen, zu denen auch die Rhein- und
Donauprovinzen gehörten, wurden üblicherweise ehemalige Konsuln, also
Männer mit hoher Entscheidungsbefugnis berufen. Es galt als höchste
Auszeichnung, die Macht Roms als Statthalter des Kaisers durch die
Führung der Legionen und Sicherung der Grenzen zu garantieren.
Von
der Herkunft her war Arminius dem Varus mindestens ebenbürtig, wenn
nicht sogar überlegen. Er entstammte der Königssippe der Cherusker,
eines im Oberweserbereich ansässigen Germanenstammes. Wobei, wie Sommer
ausführlich darlegt, der Begriff „Stamm“ für die einzelnen germanischen
Gemeinschaften problematisch ist, da diese sich in Größe und Struktur
teilweise unterschieden. Tacitus, der vor allem in seiner „Germania“ die
ausführlichste Beschreibung des rechtstrheinischen „Babaricums“
geliefert hat, benutzte sogar drei differierende Ausdrücke als
lateinische Entsprechungen dieser Gemeinschaften, nämlich gens, natio
und civitas. Allerdings ist aus seinen Beschreibungen nicht zu
entnehmen, worin sich die so benannten Gruppen unterschieden. Sommer
vermutet, dass die variierende Terminologie am ehesten „verschiedene
Entwicklungsstadien der fiktiv-verwandtschaftlichen Identitätsgruppen“
widerspiegelt.
Über den ursprünglichen Namen herrscht Unsicherheit, wahrscheinlich aber
ist Arminius die latinisierte Form eines germanischen Namens, denn seine
Sippe pflegte vielfältige Verbindungen zu Rom. Sicher ist, dass sowohl
Arminius als auch sein Bruder Flavius (der Blonde) in jungen Jahren nach
Rom gebracht und dort erzogen und militärisch ausgebildet wurden. Sowohl
Arminius als auch Flavius wählten die Offizierslaufbahn und stiegen in
führende Militärränge auf. Beide führten germanische Hilfslegionen (auxilia)
im römischen Heer. Und beide besaßen das römische Bürgerrecht und die
Ritterwürde ebenso wie ihr Vater, der germansiche princeps Sigimer, und
Arminius’ Schwiegervater Segestes. Damit konnte auch Arminius zum
Zeitpunkt der Schlacht auf eine glänzende „römische Karriere“
zurückblicken.
Verrat und Identitätskonflikt
Dann, im Jahr 9 n. Chr. erhielt er den Befehl, mit seinen germanischen
Hilfstruppen gemeinsam mit drei unter dem Oberkommando von Varus
stehenden Legionen nach Germanien zu ziehen, um Unruhen
niederzuschlagen. Dort angekommen, trat bei ihm – anscheinend plötzlich
– ein Sinneswandel ein, dessen auslösendes Moment wir nicht kennen.
Möglicherweise ist ihm bei dieser – wahrscheinlich ersten – Rückkehr in
sein Heimatgebiet bewusst geworden, dass seine Landsleute unterdrückt
und ausgebeutet wurden. Und dass sie selbst es mehrheitlich vorzogen,
zwar ohne Hochkultur sowie ziemlich wild und zerstritten, aber in jedem
Fall frei und nach ihren eigenen Gesetzen zu leben. Und er erkannte –
oder erfasste es intuitiv –, dass die Zeit reif und die Gelegenheit
günstig waren, die Römer zu vertreiben, indem die germanischen Stämme
sich zu einem größeren Verbund zusammenschlossen. Vor allem aber besaß
er den unbedingten Willen zur Macht und sowohl mit seinen auxilia als
auch mittels seiner präzisen Kenntnis des „Feindes“ die besten
Vorraussetzungen, einen solchen Bund erfolgreich zu führen.
Auch wenn bis heute nicht geklärt ist, was Arminius wirklich veranlasst
hat, die Seiten zu wechseln, Rom zu verraten und seinen bisherigen
Oberbefehlshaber Varus in eine militärische Falle zu locken, so ist um
so klarer, mit welcher Kampfeslist er die Römer besiegte. Unter dem
Vorwand, germanische Aufständische zu maßregeln, verließ er mit seinen
germanischen Hilfstruppen die Legionen des Varus und lockte diese dann
mit einer falschen Botschaft in die damals undurchdringlichen Wälder
Norddeutschlands. Dort, fernab von den befestigten Armeewegen, wo die
römischen Truppen unmöglich ihre übliche Schlachtstrategie und Taktik
einsetzen konnten, wurden sie von den gut ausgerüsteten Germanen immer
wieder überraschend und überfallartig an mehreren Stellen über die
Flanken angegriffen und schließlich im Laufe von knapp einer Woche
zerrieben. Es sollen mehr als 15.000 Gefallene gewesen sein, rund ein
Achtel des römischen Gesamtheeres, so dass schließlich von den drei von
Varus geführten Legionen nur noch ein Rest versprengt flüchtender
Legionäre übrig blieb. Worauf sich ihr Befehlshaber Varus noch auf dem
Schlachtfeld mit seinem Schwert selbst umbrachte. Wo genau das Hauen und
Stechen stattgefunden hat, ist ebenfalls unsicher. Orte wie Detmold und
Osnabrück streiten sich ebenso darum wie Kalkriese.
Zu vermuten ist, dass Arminius vor seinem Seitenwechsel und Verrat einen
Identitätskonflikt mit sich selbst ausgetragen musste. Eine Vermutung,
die nicht zuletzt deshalb wahrscheinlich ist, weil sich Teile seiner
Familie ihm nicht anschlossen und Rom weiterhin die Treue hielten.
Arminius’ Bruder Flavius jedenfalls soll auch nach der clades Variana
weiterhin in führender Position in der römischen Armee gedient haben.
Sein Schwiegervater Segestes soll sogar zwei Jahre später in Rom der
Siegesparade anlässlich des Vergeltungsfeldzugs des Tiberius beigewohnt
haben, bei der sich unter den Gefangenen wahrscheinlich auch Arminius’
Frau Thusnelda und sein Sohn befanden.
Arminius selbst fiel nicht in einer Schlacht, schon gar nicht durch die
Römer, sondern mit 37 Jahren einem Mordanschlag der eigenen
Verwandtschaft zum Opfer. So jedenfalls überlieferte es uns Tacitus.
Deutscher Gründungsmythos
Was nun taugt dieser Arminius, der in der Reformationszeit zu Hermann,
dem Cherusker wurde und jahrhundertelang mythische Verehrung erfuhr, als
Identifikationsfigur heute?
Michael Sommer verweist unter anderem auf die These des Soziologen Max
Weber, der in der Figur eines charismatischen und erfolgreichen (Heer-)Führers
den Nukleus jeder Volkswerdung sieht. Genau eine solche Ethnogenese,
wohl die erste im germanischen Raum, beschrieb Caesar in seinem De bello
Gallico, als er über den Suebenfürsten Ariovist und seine ihm treu
ergebene Gefolgsschar aus unterschiedlichen Stämmen, Germanen und
Kelten, berichtete. Wichtiger noch als gemeinsame ethnische Herkunft,
Sprache, Religion und sogar als der Stamm hat sich immer wieder und
gerade in den Jahrhunderten der Völkerwanderungen eine außergewöhnlich
charismatische und erfolgreiche Führungspersönlichkeit erwiesen – als
Bindeglied und als Kristallisationspunkt von Loyalität, Solidarität und
militärischer Disziplin. Eine solch außergewöhnliche Persönlichkeit war
Arminius zweifellos. Wobei die von Max Weber erwähnten
Charakterzuschreibungen und Qualitäten keine moralische Kategorie sind
und die Fähigkeit zu führen nichts über Gut oder Böse von Absichten und
Taten aussagt.
Dennoch, auch wenn es einerseits noch einige Jahrhunderte gedauert hat,
bis das Heilige Römische Reich Deutscher Nation das Imperium Romanum
ablöste, und sich andererseits Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zu
einer nahezu mythenfreien Zone entwickelt hat, so ist die
Arminiusschlacht im ethnogenetischen Sinn zu Recht, aus welcher
Perspektive auch immer, als primordiale Tat anzusehen, also als
Identität stiftendes Ereignis – oder eben als Urknall deutscher
Geschichte. Und damit kann Deutschland im Jahr 2009 nicht nur seine
Wiederauferstehung nach dem Zweiten Weltkrieg und seine
Wiedervereinigung feiern, sondern getrost auch einen neugierigen
Rückblick auf die verworrenen Anfänge der eigenen Geschichte werfen.
Wer
mehr dazu erfahren möchte, der findet in dem gleichermaßen
wissenschaftlich genauen wie auch lebendig geschriebenen Buch von
Michael Sommer reichlich gut aufbereitete Informationen.
Michael Sommer: Die Arminiusschlacht – Spurensuche im Teutoburger
Wald
Kröner Taschenbuch 506, ISBN 978-3-520-50601-6, 12.90 EUR
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