
So wie der
Königsdorfer Skulpturengruppe ging es vielen der im
Mittelalter in Köln geschaffenen Kunstwerke - sie wurden in
alle Welt verstreut. Die Meisterwerke wieder
zusammenzuführen und damit anschaulich zu machen, dass Köln
in seiner Blütezeit von 1000 bis 1550 zu den führenden
Kunstmetropolen Europas zählte, ist das -
bestens gelungene - Anliegen der aktuellen Ausstellung.
Mit rund 40.000 Einwohnern war es damals größer als Paris oder Venedig
- was heute vielfach nicht mehr bewusst ist. Es war
ein einflussreiches und weit vernetztes Pilger- und
Handelszentrum und stand im regen Austausch mit Paris, Prag,
den Niederlanden und Italien. Und damit zog es zu den
einheimischen Künstlern auch auswärtige Meister an. Sie alle
zusammen entwickelten aufgrund regionaler stilbildender
Eigenheiten mit der Zeit eine typisch kölnische Kunstsprache,
die sich heute noch erkennen lässt.
Links: Thronende Madonna mit Kind und Heiligen
Meister der Hl. Veronika um 1410
Philadelphia Museum of Art, John G. Johnson Collection, 1917
Die von Dagmar Täube
verantwortete Prachtschau bietet einen Überblick über das
künstlerische Schaffen in Köln von der Spätromanik über die
Gotik bis zum Beginn der Renaissance, also über rund fünf
Jahrhunderte. Es werden kostbare Elfenbeinschnitzereien
und Goldschmiedearbeiten, feinste Buch- und Tafelmalereien, edle
Textilien, prächtige Glasmalereien und meisterhafte
Holzschnitzereien gezeigt.
Kunst zur Ehre Gottes und der eigenen Heilsversicherung
wegen
Das Mittelalter kannte keine l'art pour l'art, keine Kunst um ihrer selbst willen.
Und deren Schöpfer verstanden sich auch nicht als Künstler
im heutigen Sinn. Vielmehr ging es um die Verherrlichung Gottes
und die Versicherung des eigenen Seelenheils sowie die
Repräsentation des gesellschaftlichen Standes. Folglich
entstanden überwiegend Werke sakralen Inhalts. Auftraggeber waren
mehr oder minder Vermögende, also Herrscher,
Adlige, Geistliche und wohlhabende Bürger. Der Reichtum im Kölner Erzbistum erlaubte in
der Romanik die Gründung vieler neuer Klöster, Kirchen und Stifte.
Sie alle wurden prachtvoll ausgestattet. In der Gotik kam der
atemberaubende Bau des Hohen Doms hinzu, der Jahrhunderte in
Anspruch nahm und fast ausschließlich von Erzbischof und
Domkapitel getragen wurde. Er gilt bis heute als drittgrößte
Kirche der Welt.

Gegen Ende der Gotik und mit dem Beginn der Renaissance
wurden immer häufiger wohlhabende Bürger zu Auftraggebern.
Stadtrat, Kaufmanns- und Tischgesellschaften und
die Zünfte bestellten zunehmend Auftragswerke. Wobei der Wunsch nach
Zeichen der eigenen Frömmigkeit sowie das
Repräsentationsbedürfnis gleichermaßen eine Rolle spielten. Bis
heute ist im Stadtbild deutlich erkennbar, dass Kleriker und
wohlhabende Bürger die Initiatoren und Stifter prachtvoller
Bauten, Skulpturen, Tafel- und Buchmalereien waren. Eine
höfische Prägung, wie sie traditionelle Residenzstädte
aufweisen, fehlt im Stadtbild völlig.
Was jedoch einer privilegienreichen Sonderstellung Kölns im
Reich keinen Abbruch tat.
Links: Friesentormadonna, Köln, um 1360/70, Nussbaumholz,
Museum Schnütgen, Köln, Foto: Christa Tamara Kaul
Im Gegenteil: Köln zählte neben Rom, Jerusalem und Byzanz,
heute Istanbul, zu den vier Heiligen Städten der
Christenheit. Den Ruf verdankte es den prächtig
ausgestatteten Kirchen, Märtyrergräbern, Heiligenlegenden und
Reliquien, nicht zuletzt den zwar kaum echten,
aber berühmten Gebeinen der
Heiligen Drei Könige. Nicht zu vergessen die heilige Ursula mit
ihren wahrscheinlich 11 Jungfrauen, aus denen in der Legende
aus durchaus kommerziell zu sehenden Gründen 11.000
wurden, sowie der heilige Gereon mit seinen Gefährten. Sie
verhalfen Köln zum Ehrentitel des „Roms des Nordens". Das
schwemmte Pilger- und Kaufmannsströme in die Stadt, die
wiederum an Reliquien und kunstvollen Gefäßen
für diese sowie an anderen wertvollem Handelsgütern interessiert waren.
Ein lukratives Pflaster für die Kölner Goldschmiede und
Bildschnitzer also.









All das lässt sich anhand der herrlichen
Ausstellungsexponate und der erklärenden Texte anschaulich
nachvollziehen. Damit diese außergewöhnliche Schau Realität
werden konnte, bedurfte es einer langen und akribischen
Vorarbeit und Kontakten zu Sammlungen in der ganzen Welt.
Die 225 Spitzenexponate sind teilweise Leihgaben
nationaler und internationaler Museen, sie kommen u.a. aus
Berlin, Darmstadt, Nürnberg, München, London, Paris,
Budapest, Wien, Lissabon, New York, Philadelphia,
Washington, Cleveland, Detroit, Chicago und Los Angeles und
kehren nur für die kurze Zeit der Ausstellung an ihren Ursprungsort, die Domstadt, zurück . Ebenso wie die
Königsdorf-Budapester Kruzifixgruppe werden auch die anderen
Prachtstücke auf absehbare Zeit nicht mehr in dieser dichten
Zusammenstellung zu sehen sein.
Zur Ausstellung ist im Hirmer Verlag ein reich und durchgängig
farbig illustrierter Katalog erschienen, der neben der ausführlichen
Beschreibung der 225 Exponate zwei einführende Beiträge sowie
mehrere themenspezifische bzw. übergreifende Essays renommierter
Experten bietet, so dass ein Überblick über den neuesten Stand der
Forschung gewährleistet ist. Anders als die Ausstellung ist der
Katalog jedoch ganz bewusst nach Kunstgattungen gegliedert, um das
Auffinden der Exponate unabhängig von der Ausstellung zügig zu
ermöglichen. Alles in Allem: Ein Augenschmaus und ein wertvolles
Kompendium der mittelalterlichen Kunst und Bedeutung Kölns.

"Glanz und Größe des Mittelalters - Kölner Meisterwerke aus den
großen Sammlungen der Welt" - Ausstellung vom 4. November 2011 bis
26. Februar 2012 im Museum Schnütgen, Cäcilienstraße 29-33, Köln
Katalog
Ausstellungsausgabe 39,00 Euro
Buchhandelsausgabe 49,00 Euro